Nahostkonflikt auf den Floors?

MichaMN
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Nahostkonflikt auf den Floors?

Beitrag von MichaMN »

Ein paar Tage nach dem Paralleluniversum mit wundervollen Momenten, Menschen Sets und Performances muss ich leider ein Thema ansprechen, das mir Bauchschmerzen bereitet hat.

Während des gesamten Wochenendes, aber speziell am Samstag tagsüber sind mit Leute aufgefallen, die offen, selbstbewusst und augenscheinlich beim Tanzen Palästina-Flaggen geschwenkt haben – u. a. beim Recondite-Set bei der Turmbühne. Ich fand es wirklich merkwürdig, dass sich absolut NIEMAND daran gestört hat, bzw. nicht mal das Thema angesprochen hat.

Nationalismus/Patriotismus gehörte für mich noch nie auf die Fusion, auf ihre Floors und Bühnen. Zumindest meine Gruppe, aber ich denke auch ein Großteil aller Fusionist*innen wollte dieses Festival immer dazu nutzen, eine Auszeit vom System der Staaten, Grenzen und völkischen Zugehörigkeitsgefühlen zu bekommen. Aber bei Palästina werden wahrscheinlich andere Maßstäbe gezogen. Frage mich nur, welche.

Keine Ahnung, wohin sich die Fusion entwickeln wird. Ich hoffe, es geht nicht so weiter, wie es sich andeutet. Der Nahostkonflikt ist zu kompliziert, als dass er von BDSlern im Content gelöst werden könnte. Schon die Einladung von Aktivist*innen von "Palästina spricht" auf ein Festival im Täterland ist imo ein Skandal. Ein Verein, der mit alten "Kindermörder"-Narrativen glänzen und Israel als Apartheids-Regime bezeichnet, während die Verbrechen der Hamas und Fatah gegen die eigene Bevölkerung nicht mit einer Silbe kritisiert wird. Ein Verein, der fröhlich "From the River to the Sea" hinausruft und genau weiß, was er damit meint. Ein Verein, der Parolen wie "Intifada ist unser Klassenkampf" unterschreibt und damit die Tötung unschuldiger Zivilist*innen in Israel – egal, ob jüdisch, muslimisch oder christlich – gutheißt.

Deutschland bleibt halt Deutschland. Auch in Lärz.
MichaMN
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Re: Nahostkonflikt auf den Floors?

Beitrag von MichaMN »

Hier im Übrigen ein paar aktuelle Einordnungen der Belltower News der Amadeu-Antonio-Stiftung dazu.
https://www.belltower.news/antisemitism ... or-132723/
rattentatten
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Re: Nahostkonflikt auf den Floors?

Beitrag von rattentatten »

Sehe ich übrigens ähnlich. Leider scheint der KuKo da auch nicht lernen zu wollen und lädt immer wieder Gruppen ein, die neben der Politik des Staates Israel auch das Judentum kritisieren.

Vielleicht sollte man sich auf Kunst palästinischer Künstlerinnen konzentrieren, klappt auf der Documenta auch sehr gut.
charno
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Re: Nahostkonflikt auf den Floors?

Beitrag von charno »

Ich möchte jetzt mal nicht gross auf Palästina eingehen, weil ich keinen Bock auf AntiD-Diskussionen habe (Bin auch kein Deutscher :lol:). Darum nur generell zu Nationalismus. Zur Abgrenzung zwischen Israel-Kritik und Antisemitismus ist die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus ein gutes Werkzeug: https://jerusalemdeclaration.org/wp-con ... al.ok_.pdf (Deutsch) / https://jerusalemdeclaration.org/ (Englisch, Mit Unterschriftenliste)

Nationalismus gibts in verschiedenen Ausführungen. Für die meisten von uns typisch und natürlich scheisse ist der Nationalismus in den grossen, mächtigen, westlichen Nationen, die über Nationalismus Macht ausbauen, Grenzen ziehen und sich über andere Länder stellen.

Gleichzeitig gibts bzw. gabs aber z.B. auch noch die nationalen Befreiungsbewegungen, die sich Antikolonialistisch aufstellen, und "ihre Nation" zurückfordern bzw. forderten. Im Westen bekannte Beispiele dafür sind Kuba, Indien, Vietnam oder Puerto Rico, weniger im Bewusstsein weil sich ja eh keine Sau für Afrika interessiert sind die ganzen afrikanischen Befreiungsbewegungen, z.B. Algerien, Namibia ("Deutsch-Südwestafrika") oder Mali. Dieser Nationalismus wird und wurde von der Linken traditionell unterstützt.
MichaMN
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Re: Nahostkonflikt auf den Floors?

Beitrag von MichaMN »

Also hältst Du Nationalflaggen, sofern sie "antiimperialistische Staaten" repräsentieren, für ein geeignetes Feierutensil?
Antinationalismus macht auch vor Kuba und co. nicht Halt. Und die Fusion sollte eigentlich staatenloser Raum sein/bleiben.

PS: Indien ist ein gutes Beispiel, dass auch Nationalismus in nicht-westlichen Ländern ein Riesenproblem ist. Siehe die Hindu-Nationalist*innen und ihr Umgang mit der muslimischen Minderheit. Anderes Beispiel: Nationalismus in Myanmar und die Vertreibung der Rohingya.
charno
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Re: Nahostkonflikt auf den Floors?

Beitrag von charno »

Ich halte Nationalflaggen, solange sie eine antiimperialistische / antikolonialistische Bewegung repräsentieren für angemessen an der Fusion, die Fusion ist ja nicht nur Kopf wegballern und möglichst wenig denken, sondern auch poltischer Raum. Wenn du einfach nur Feiern und Hedonismus willst kannst du ja ans Tomorrowland oder so ;-)

Die meisten Beispiele die ich genannt habe sind historisch, wie an Indien gut zu sehen ist - der Krieg gegen die Imperialmacht England liegt doch schon eine gute Zeit zurück, aktuell ist Indien sicher nicht mehr antiimperialistisch oder kolonialistisch, sondern halt ein weiterer rassistischer und kapitalistischer Staat. Und es ist ja auch nicht so, dass antikoloniale Befreiungsbewegungen per se Links sind, sondern halt einfach mal antikolonial - ich finde als Westeuropäer*innen sollten wir da den Ball aber mal ganz schön flach halten, und nicht nur die "idealen Kämpfe" unterstützen, sondern auch die an denen wir Kritikpunkte haben.

Aktuelle Beispiele für nationale Befreiungskämpfe sind wohl Rojava und Palästina sowie - weniger offener Kampf, aber durchaus auch am brodeln - die Kämpfe der Maori oder auf Puerto Rico.

Dumpfen Antinationalismus halte ich für Falsch. Im Westen - na klar, go for it, tear it down! Aber gerade z.B. auf Kuba ist Staat nochmals etwas komplett anderes als z.B. in Deutschland - natürlich nicht einfach nur gut, aber als antikolonialistische/antiimperialistische Instanz unverzichtbar. Die Alternative zum Staat auf Kuba wäre ein imperialistisches take it all.
MichaMN
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Re: Nahostkonflikt auf den Floors?

Beitrag von MichaMN »

Okay, dann haben wir zwei völlig verschiedene Ansätze. Antinationalismus bezeichnest du als "plump"? Really? Nach internationaler Solidarität sollte doch immer noch der Kommunismus und damit das Absterben von Staaten das Ziel der Linken sein. JEDE "nationale Befreiung" hat mit Ausgrenzung und reaktionären Ideologien zu tun. IMMER müssen staatliche Interessen gegenüber der globalen Konkurrenz durchgesetzt werden. Das ist das Spiel der Völker und Staaten. Und du spielst es mit.

Ey und wenn ich Kuba-Flaggen sehen will, geh ich auf ne DKP-Demo und nicht auf die Fusion.
MichaMN
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Re: Nahostkonflikt auf den Floors?

Beitrag von MichaMN »

PS: Die YPG-Flaggen-Aktion fand ich gut und richtig. Aber Rojava steht mit seinem Demokratischen Konföderalismus nicht für die Gründung neuer, sondern für die Auflösung alter Staatengebilde.
geoseo
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Re: Nahostkonflikt auf den Floors?

Beitrag von geoseo »

Ich glaube mehr sollen der 'Flag of Earth' tragen. One flag for all of us on Earth!!

http://www.flagofearth.org/original.html


''The Flag of Earth has been kept free of class, ethnic, national, racial, or religious and spiritual predispositions. ''
charno
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Re: Nahostkonflikt auf den Floors?

Beitrag von charno »

MichaMN hat geschrieben: Mi 6. Jul 2022, 14:49 Okay, dann haben wir zwei völlig verschiedene Ansätze. Antinationalismus bezeichnest du als "plump"? Really? Nach internationaler Solidarität sollte doch immer noch der Kommunismus und damit das Absterben von Staaten das Ziel der Linken sein. JEDE "nationale Befreiung" hat mit Ausgrenzung und reaktionären Ideologien zu tun. IMMER müssen staatliche Interessen gegenüber der globalen Konkurrenz durchgesetzt werden. Das ist das Spiel der Völker und Staaten. Und du spielst es mit.
Ich glaub da hab ich mich unglücklich ausgedrückt. Ich geh mit dir einig, natürlich muss das Absterben der Staaten durch den Kommunismus (oder wies auch immer genannt wird) das Ziel sein, da bin ich komplett bei dir! Ich wollte auch nicht Antinationalismus als solches als Dumpf bezeichnen, sondern eine Abgrenzung zwischen "dumpfem" (dogmatischem, idealistischem) und "differenziertem" Antinationalismus schaffen.

Ich gehe davon aus, dass wir uns auch einig sind, dass es noch ein paar Tage geht, bis im Kommunismus die Nationen sterben werden ;-) Und dass wir bis dahin noch vieles an Arbeit vor uns haben. Und ich denke bei dieser Arbeit ist es wichtig, von der aktuellen Realität auszugehen, da wir uns in dieser bewegen und aktiv sein müssen. Und in dieser Realität ist es z.B. so dass Kuba ein VERGLEICHSWEISE für die Region fortschrittlicher Staat ist, der massiven wirtschaftlichen Blockaden unterworfen ist, und die z.B. grosse Schwierigkeiten haben notwendige medizinische Güter zu importieren. Hier kann Solidarität ansetzen, in dem z.B. die Wirtschaftsblockade kritisiert oder durchbrochen wird, oder eben indem symbolisch mit der Fahne Solidarität mit dem Staat (bzw. der Bevölkerung des Staats, die unter der Wirtschaftsblockade leidet) gezeigt wird.

Ich bin nicht einverstanden damit, dass du sagst das jede nationale Befreiung mit reaktionären Ideologien zu tun hat. Sorry dass ich schon wieder Kuba als Beispiel nehme, aber ich weiss einfach einiges zum Thema und es passt so gut. Auf Kuba war vor der Revolution die Quasi-Koloniale Batista-Diktatur an der Macht, die durch die Revolution gestürzt wurde. Natürlich kam es da zu Ausgrenzungen, z.B. wurden Plantagenbesitzer und Grossindustrielle enteignet und z.T. vertrieben, aber ich gehe mal davon aus, dass du das auch als Positiv sehen wirst. Und natürlich ist es auch so, dass nach einer Revolution nicht einfach alles Reaktionäre sofort abgeschüttelt wird. Gute Beispiele auf Kuba wären die Diskriminierung anhand von Hautfarben, der "Machismo" oder Homophobie - alles Dinge, die auch jetzt noch Thema auf Kuba sind. Aber, und darum find ich das Projekt unterstützenswert, es sind eben Themen die auf der politischen Agenda stehen, und die sowohl von vielen nicht-staatlichen Initiativen angegangen werden (In Havanna gibt es z.B. sehr viele Kleber gegen Homophobie), als auch von staatlichen Institutionen angegangen wird (sexuelle Aufklärung in der Schule beinhaltet nicht nur Hetero-Sex, und Anderssexualität wird positiv beschrieben). Eine politisch aktive Frau auf Kuba meinte mal zu den Themen, dass es nach Jahrhunderten von reaktionärer Gesellschaft halt auch ein paar Generationen braucht, damit diese Ideologien aus den Köpfen kommen.
Ich glaube das bringt mein Grundgedanken ganz gut auf den Punkt: Im jetztigen Zustand der Welt können wir im grossen nicht nur "ideale" Projekte unterstützen, sondern müssen auch ein Auge auf Projekte haben die in die richtige Richtung gehen - auch wenn es berechtigte und wichtige Kritikpunkte gibt. Im Kleinen ist das anders: Da ist es kein Problem, 100 Menschen zu finden die von den gleichen Idealen sprechen, aber meine Erfahrung zeigt auch da, dass diese Ideale viel zu oft nur in den Köpfen und nicht im Zusammenleben existieren.

Betreffend Konkurrenz zwischen den Staaten bin ich halbwegs einverstanden: Die Wirtschaftsblockade gegen Kuba ist ein gutes Beispiel, dass staatliche Interessen gegen Kuba durchgesetzt werden. Gleichzeitig gibt es auch von Solidarität zwischen den Staaten, z.B. reisen von Kuba aus eine grosse Anzahl von Ärzt*innen quer durch Lateinamerika, die sich darauf spezialisiert haben eine Augenerkrankung zu behandeln, die Leute erblinden lässt. Das ist natürlich auch eine Form von soft power projection...
MichaMN hat geschrieben: Mi 6. Jul 2022, 14:51 PS: Die YPG-Flaggen-Aktion fand ich gut und richtig. Aber Rojava steht mit seinem Demokratischen Konföderalismus nicht für die Gründung neuer, sondern für die Auflösung alter Staatengebilde.
Und genau das mein ich mit differenziertem Nationalismus: Rojava ist per Definition ein Staat (Territorium, in dem Territorium lebende Menschen, ein Regelwerk, den Wunsch dieses Regelwerk durchzusetzen, Verteidigung des Territoriums), und du findest ihn cool. Ich ziehe diese Grenze der unterstützenswerten Staaten / Nationalen Befreiungsbewegungen halt an einem anderen Ort, für mich muss ein Staat nicht "ideal" (oder idealisiert? Auch in Rojava ist nicht alles Gold was glänzt) sein, sondern sie müssen grundsätzlich in die richtige Richtung gehen. Und für mich ist die grundsätzlich richtige Richtung bei antikolonialen Bewegungen ziemlich schnell gegeben, solange es nicht reaktionäre Bewegungen sind.
MichaMN hat geschrieben: Mi 6. Jul 2022, 14:49 Ey und wenn ich Kuba-Flaggen sehen will, geh ich auf ne DKP-Demo und nicht auf die Fusion.
Ich war mal an der Luxemburg-Liebknecht-Demo in Berlin, und was dort z.T. rumlief war wirklich ein Gruselkabinett... "Helft unseren sozialistischen Bruderstaaten in Not: Kuba, Vietnam, China, Nordkorea" :o :lol:

Ich stell mir natürlich auch nicht vor, dass es auf jedem Floor ein Fahnenmeer mit Nationalflaggen von Befreiungsbewegungen gibt, das wär wirklich schade. Für mich wäre es aber total OK, wenn vereinzelt mal ein Totem mit Kuba-Fahne geschwenkt wird, oder wenn "Cuba Si" (keine Ahnung ob die in Deutschland auch so heissen) einen Stand hätten, der mit Kuba-Fahne dekoriert wird, und an dem durch den Verkauf von kubanischem Rum-Cola die Wirtschaftsblockade durchbrochen wird um ein wenig Devisen nach Kuba zu kriegen.


PS: Sorry für den Wall of Text, Isolation ist langweilig :roll:
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