Gleichheit als Tod der Gerechtigkeit?
Verfasst: Sa 12. Nov 2011, 20:44
Abstract
1. Zunächst wird dargelegt, warum das Losverfahren als prinzipiell ungerecht zu bewerten ist: Weil es nur die Regel-, nicht aber die Ergebnisgerechtigkeit berücksichtigt, verursacht es einen untragbaren sozialen Kollateralschaden.
2. Eine Analyse der ökonomischen Gesetzmässigkeiten kommt zu dem Ergebnis, dass eine selbstverschuldete Preisblase vorliegt: Der Markt glaubt, es gäbe weniger Tickets als Interessenten. Es wird begründet, warum es sich dabei vermutlich um einen Zirkelschluss handelt.
3. Schliesslich wird ein Weg vorgeschlagen, der sowohl die Preisphantasie dämpft, als auch den Schwarzmarkt minimiert und zusätzlich Gesamteinnahmen und Planungssicherheit stabilisiert. Voraussetzung ist die Bereitschaft des zentralen Marktteilnehmers, seine Marktmacht zugunster seiner ideellen Zielsetzungen auszunutzen. Es wird erläutert, warum das optimale Ergebnis nicht in der Durchsetzung eines maximalen Ticketpreises zu suchen ist (absolute Gleichheit), sondern in der systematischen Senkung des Gesamtdurchschnittspreises (relative Gleichheit mit Spielraum für die Selbstselektion aller Marktteilnehmer).
------------------
Was ist eigentlich Gerechtigkeit?
Gegenwärtig erleben wir ein schönes Beispiel dafür, dass Menschen Gerechtigkeit auf zweierlei Arten definieren: Die eine kann man spüren, die andere nur errechnen.
Unterstellen wir einmal, dass die Bürger der DDR untereinander in materieller Hinsicht tatsächlich "gleich" waren. Aber gerecht behandelt fühlte sich allenfalls eine Minderheit.
Komisch?
Nein, nachvollziehbar: Im selben Sinne könnte das vorgeschlagene Losverfahren "gleich" sein. Nebenbei: Das ist es ja gar gar nicht, auf die stochastisch zwingenden Disparitäten wurde brillant hingewiesen: http://forum.fusion-festival.de/viewtop ... =11&t=1466. Unabhängig davon kann es sich für niemanden gerecht anfühlen, wenn man in Freundeskreise zusammengefasst, und dann kollektiv gegeneinander ausgespielt wird - selbst wenn dies formal sogar annähernd "gleich" sein mag.
Moral der emotionalen Kollektivkosten
Bei allem Respekt vor der Fusion-Crew: Wie könnt ihr ernsthaft all den Mitmenschen, die ihr jahrelang zur Teilhabe an eurer Vision von einem besseren Menschsein eingeladen habt, heute zumuten, erst durch die Anmeldung in akute Hoffnung versetzt, dann aber zu Abertausenden enttäuscht zu werden? Und das auch noch in zwei Anläufen?
Ich empfinde diese Idee als irgendwas zwischen Größenwahn und blankem Sadismus - vermutlich ist es aber einfach nur Verzweiflung. Das Gesetz der grossen Zahl besagt, dass Freundschaften und Beziehungen daran zerbrechen werden. First-come-first-serve wäre kollektivemotional viel preiswerter, und das musste doch auch euch klar sein.
Verzeiht mir den nun folgenden recht unflätigen Vergleich, ich würde ihn nicht bringen, wenn ich den logischen Unterschied gefunden hätte: Die systematisch zwingende Massenenttäuschung - ist sie in diesem "übergerechten" Losverfahren nicht ähnlich angelegt wie einst die Grenzsprengfallen im Staatssystem der DDR? Beides logische Konsequenzen von Leuten, die mit dem Noch-Gleicher-Machen nicht aufhören wollten. (Ansonsten müsste man fragen, ob den DDR-Entscheidern wirklich jede Räson und jede Philanthropie ab- und nur noch totale Menschenverachtung zugesprochen werden kann - aber ich bitte euch, es wird doch ständig aus den edelsten Motiven getötet!)
In beiden Fällen sind im Ergebnis die Verluste so hoch, dass vernünftige Menschen das Ergebnis nicht mehr als gerecht akzeptieren können, und es auch keine Rolle mehr spielt, ob die Verteilung der idealen Gleichheit nahekommt. Hierin sehe ich die ethische Strukturgleichheit der beiden Beispiele, wiewohl das eine vielleicht wirklich nur als Spass, das andere aber schon als mindestens zartbitterer Ernst auftritt. Oder anders: Der Selbstanspruch der Fusion macht den Vergleich überhaupt erst möglich.
Die Fusion-Crew hat Gerechtigkeit mit Gleichheit verwechselt.
Die eine Gerechtigkeit heißt auch so, und ist ein immer angreifbares Ergebnis der praktischen Vernunft. Die andere, die "Gleichheit", bleibt ein theoretisches Konstrukt. Sie ist verlockend simpel, aber wer sich in sie flüchtet, läuft Gefahr, aus lauter Angst vor Restungerechtigkeit noch viel ungerechter als nötig zu sein.
Beobachten wir einen typischen, womöglich unvermeidlichen linken Denkfehler? Er wäre unverzeihlich: Die ganze ferienkommunistische Idee hätte sich selbst ad absurdum geführt. Oder wird eine nicht minder linke Neigung zur Destruktion virulent, nämlich der Sozialneid, der sich in Hass auf die, Zitat, "miesen Spekulant_innen" entlädt? Aber schon nach eigenem Bekunden wird das Szenario dadurch allenfalls "nicht sympathischer".
Man spielt das Problem herunter, sieht sich gleichwohl "herausgefordert, diese Abzockerei zu stoppen": Ist er das also, der menschenverachtende Subtext der Gleichmacherei? Weil wenigen auf Teufelkommraus nicht vergönnt sein soll, sich zu bereichern, müssen am Ende alle leiden?
Wann hört der Pauschalethik-Unfug auf? Es gibt eine viel wichtigere Herausforderung: Eine große Idee könnte zugrundegehen.
Die ökonomische Perspektive zeigt sich im Vergleich zur politisch-moralischen als deutlich erkenntnisreicher: Die Fusion kämpft mit den Bedingungen der digitalen Massengesellschaft und tut so, als sei das etwas Außerordentliches. Ist es aber nicht, es ist kalkulierbar. Viel bedauerlicher noch als das Zerbrechen von ein paar Freundschaften wäre folglich das Auseinanderbrechen des ganzen Konzepts, nur weil niemand auf die Idee kam, einen Blick in die moderne BWL zu werfen.
Die Antwort ist bekannt und lautet "Yield Management". Das ist Vertrieb mit Überblick. Er beginnt früh, vielleicht schon am ersten Tag nach der letzten Fusion mit der Eröffnung des nächsten Ticketverkaufs. Der Preis steigt dann mit der Anzahl der bereits verkauften Tickets. In welchem Verhältnis, kann und muss man herausfinden. Aber wenn man den Koeffizenten richtig wählt, dann gibt es null Schwarzmarkt. Marktgesetz. Und wenn der letzte dann 10.000 EUR bezahlt, dann hat die Fusion dem Marktgesetz ein Schnippchen geschlagen: Sponsoring ohne Namedropping oder Brand Placement. Transformation von persönlichen Präferenzen in Altruismus. Die ersten paar tausend Tickets werden auf 5 EUR und darunter quersubventioniert. Geil.
Merke: Für die Gerechtigkeit muss nicht immer der Preis gleich sein, Leistungäquivalenz genügt.
Es ist also nur ein Folgefehler, ein bürokratisches Ticketverteilungskonzept zu implementieren. Das Problem entsteht schon, wenn der Ticketverkauf zu einem Zeitpunkt beginnen soll, an dem der Markt bereits überheizt ist. Und spätestens wenn der Marktdruck den Preis dann nach oben dynamisiert, ist man de facto gezwungen, diese Dynamik zu organisieren.
Bleibt die Frage, nach welchem Kriterium dies geschieht. Wenn nicht der Gewinn maximiert werden soll, welche Variable ist es dann? Zugang zu Breitbandinternet sowie die Minimierung des Schwarzmarktpreises wurden vorgeschlagen. Man kann darüber lachen, aber es bringt nichts, viel zu sehr drängt das Problem, dass die Frage eben nicht beantwortet ist.
Die Fusion betreibt schon seit Jahren Yield Management - müsste eigentlich nur die Formel dafür neu aufstellen.
Die Ironie der ganzen Debatte besteht darin, dass sämtliche Vorschläge, die hier im Forum zu lesen sind, letztlich Varianten des Yield Managements darstellen: Immer dann nämlich, wenn Kontingente über die Zeit gestaffelt werden, liegt definitionsgemäss der Versuch einer flexiblen Kapazitätssteuerung vor.
Ein veritabler Streit um die Zeitpunkte und Losgrössen der Staffelung ist gegenwärtig aber nutzlos. Denn die Faktoren
a) Gesamtzahl der Tickets
b) Gesamtzahl der Interessenten und ihre Zahlungsbereitschaft
c) Zeitpunkt des Verkaufsstarts
d) Richtpreis und Preisstaffelung
e) Tatsächliche Anzahl der verkauften Tickets
f) Schwarzmarktpreis und Schwarzmarktvolumen
stehen nicht alleine. Verändert man eine Variable, dann verändern sich alle anderen unweigerlich mit. Der Streit ist deshalb obsolet, weil noch nicht klar ist, welche der Variablen maximiert, und welche minimiert werden sollen. Oder präziser: Durchschnittlicher Ticketpreis und Schwarzmarktpreis lassen sich nicht gleichzeitig in dieselbe Richtung beeinflussen. Doch genau so lautet bisher die Ansage, und die ganze Probleme entstehen nur, weil die Aufgabenstellung grundsätzlich paradox formuliert wurde.
Wer kostenlose Optionen ausgibt, gleichzeitig aber Tickets zurückkauft, behauptet einen Zusammenhang zwischen der Nachfrage nach kostenlosen Optionen und der Nachfrage nach kostenpflichtigen Tickets. Das ist ersichtlich falsch.
Zwei Anwendungsbeispiele zur Verdeutlichung:
1. Lösen wir die Gleichung auf für das, was zumindest behauptet wird, nämlich die Minimierung von f). Dann fällt gleich auf, dass es sich bei
g) Anzahl der Tickets pro Person
h) Vorgängige Vergabe von Optionen
i) Personalisierung
nur um Dämpfungsfaktoren handelt, zu freilich hohen Administrationskosten. Die eigentliche Marktmechanik, insbesondere f), vermögen sie nicht zu verändern bzw. zu begrenzen, sondern eben nur zu dämpfen.
Wenn aber erkannt ist, dass f) nie Null sein wird, sobald a) nicht mehr unendlich ist, dann lautet die Frage doch nicht mehr, wie weit man g), h) und i) aufmunitionieren muss, bis f) erträglich erscheint. Ausgangspunkt ist vielmehr die Einsicht, dass bei schrittweiser Maximierung von d) eine Begrenzung von g) ausreicht - mit dem schönen Nebeneffekt, dass auf h) und vor allem i) mit Liquiditätszugewinn und Kostenersparnis verzichtet werden kann.
2. Betrachten wir noch kurz die frühere Situation mit unbegrenztem a): Warum gab es verbilligte Early Birds? Weil das Konzept noch mit dem Markt in Einklang stand - die Fusion war ja noch am Wachsen. Folgerichtig (niedrige Grenzkosten) wurde der Gesamtumsatz maximiert, nämlich via d) = Frühbucherrabatte. Man kann das Kalkül auch so beschreiben: Das Marktsegment der weniger zahlungskräftigen Interessenten wurde zunächst abgeschöpft, um den späteren Absatz von höherpreisigen Tickets zu ermöglichen.
Ein Ansatz könnte darin bestehen, dass die Fusion selbst beginnt, Tickets bei eBay zu versteigern.
Wenn nun b) > a), a) begrenzt, und c) schon zur Hälfte verspielt ist, dann lautete die logische Konsequenz genau umgekehrt: Rückwärtsauktion. Schliesst man das aus ideellen Gründen aber aus, obgleich sich bei b) bereits eine Blase gebildet hat, dann ist guter Rat in der Tat teuer.
Aber mit Verlaub: An dem Dogma festzuhalten, den Preis gegen den Markt diktieren zu wollen, führt automatisch zu solchen Options-Losverfahren, mit all ihren praktischen, ideellen und effizienzschädlichen Folgeproblemen. Die bereits eingerichtete "eBay-Preispolizei" ist nicht nur konsequent, sie wird notwendig. Wenn der Fusion-Newsletter stolz seine Erfolge gegen eBay-Tickethändler verkündet, dann ist das so, wie wenn das Bundeskriminalamt mit Stolz soundsoviel verurteilte Kiffer bilanziert: Es hat sich zwar nicht gelohnt, es ändert auch nichts, aber immerhin hat man irgendeine Aktivität entwickelt und damit der Ideologie Genüge getan. "Erfolgreiches Scheitern" heisst die politikwissenschaftliche Theorie dazu.
Wenn die Fusion nun selbst begänne, vorab kleine Chargen auf eBay zu versteigern, dann wäre zunächst einmal sichergestellt, dass der Auktionspreis nach oben harte Grenzen hat. Denn alle wissen: Das reguläre Kontingent kommt ja erst noch. Abschöpfen würde man folglich nicht die niedrige Zahlungsbereitschaft, sondern zunächst die problematische, weil preistreibende hohe.
Der Trick besteht darin, das Angebotsvolumen solange zu erhöhen, bis der eBay-Preis den Nominalpreis approximiert. Dann kann man gefahrlos das gesamte Restkontingent auf den Markt werfen, vielleicht auch hier noch mit einem dämpfenden Zuschlag, der in der Folge kontinuierlich sinkt. In dieser Zeitspanne haben alle echten Interessenten genug Zeit und Gelegenheit, ihr Ticket zu kaufen. Die Verkaufszahlen veröffentlicht man natürlich nicht.
Wer nun immer noch auf den Preis wetten möchte, sieht sich dem Problem gegenüber, dass er nicht weiss, wie lange die Fusion ihn noch abwärtsverteidigen kann. Bildlich: Keiner kauft im Februar Heizöl, obwohl bekannt ist, dass der Preis über den Sommer stagnieren wird, nur weil die theoretische Möglichkeit besteht, dass er im Herbst wieder steigt.
Auf h) und i) kann verzichtet werden. Alle Evidenz spricht dafür, dass am Ende mehr als die 5000 Tickets vom letzten Jahr liegenbleiben. Gleichzeitig ist klar, dass die Gesamteinnahmen höher sein werden als letztes Jahr.
Spekulation ist definiert als das Halten von Positionen nicht aus natürlichem Bedarf, sondern aus dem Kalkül, sie später mit Gewinn glattstellen zu können. Wie effizient das vorgeschlagene Vorgehen Spekulation verhindert, sieht man aktuell daran, dass es der Schweizer Nationalbank seit Wochen gelingt, den EUR/CHF-Kurs bei 1,20-1,24 einzunorden, obwohl er vorher bis auf 1,02 gesunken war. Kein vernünftiger Mensch wettet noch auf den Franken, obgleich alle wissen, dass die Devisenkapazitäten der SNB natürlich auch nicht unendlich sind.
Nur zur Erinnerung: Im Interesse der Schweizer Exportwirtschaft liegt nicht ein starker, sondern ein schwacher Franken, beliebig schwächen kann die SNB ihn aber nicht. Im erklärten Interesse der Fusion liegt nicht ein möglichst hoher, sondern ein moderater Ticketpreis, beliebig senken kann sie ihn genauso nicht.
Fazit
Wenn jemand an der steigenden Nachfrage verdient, dann sollte es die Fusion selbst sein. Und da auswegslos jemand daran verdienen wird, MUSS die Fusion sich damit auseinandersetzen, wie sie dieses Geld möglichst zivil vereinnahmt - anstatt ihre Ressourcen auf Kopierschutz - pardon, Schwarzmarkthemmungskosmetik zu vergeuden, und damit den Wert ihrer Marke - tschuldigung, die Wirkung ihrer Idee zu demontieren.
1. Zunächst wird dargelegt, warum das Losverfahren als prinzipiell ungerecht zu bewerten ist: Weil es nur die Regel-, nicht aber die Ergebnisgerechtigkeit berücksichtigt, verursacht es einen untragbaren sozialen Kollateralschaden.
2. Eine Analyse der ökonomischen Gesetzmässigkeiten kommt zu dem Ergebnis, dass eine selbstverschuldete Preisblase vorliegt: Der Markt glaubt, es gäbe weniger Tickets als Interessenten. Es wird begründet, warum es sich dabei vermutlich um einen Zirkelschluss handelt.
3. Schliesslich wird ein Weg vorgeschlagen, der sowohl die Preisphantasie dämpft, als auch den Schwarzmarkt minimiert und zusätzlich Gesamteinnahmen und Planungssicherheit stabilisiert. Voraussetzung ist die Bereitschaft des zentralen Marktteilnehmers, seine Marktmacht zugunster seiner ideellen Zielsetzungen auszunutzen. Es wird erläutert, warum das optimale Ergebnis nicht in der Durchsetzung eines maximalen Ticketpreises zu suchen ist (absolute Gleichheit), sondern in der systematischen Senkung des Gesamtdurchschnittspreises (relative Gleichheit mit Spielraum für die Selbstselektion aller Marktteilnehmer).
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Was ist eigentlich Gerechtigkeit?
Gegenwärtig erleben wir ein schönes Beispiel dafür, dass Menschen Gerechtigkeit auf zweierlei Arten definieren: Die eine kann man spüren, die andere nur errechnen.
Unterstellen wir einmal, dass die Bürger der DDR untereinander in materieller Hinsicht tatsächlich "gleich" waren. Aber gerecht behandelt fühlte sich allenfalls eine Minderheit.
Komisch?
Nein, nachvollziehbar: Im selben Sinne könnte das vorgeschlagene Losverfahren "gleich" sein. Nebenbei: Das ist es ja gar gar nicht, auf die stochastisch zwingenden Disparitäten wurde brillant hingewiesen: http://forum.fusion-festival.de/viewtop ... =11&t=1466. Unabhängig davon kann es sich für niemanden gerecht anfühlen, wenn man in Freundeskreise zusammengefasst, und dann kollektiv gegeneinander ausgespielt wird - selbst wenn dies formal sogar annähernd "gleich" sein mag.
Moral der emotionalen Kollektivkosten
Bei allem Respekt vor der Fusion-Crew: Wie könnt ihr ernsthaft all den Mitmenschen, die ihr jahrelang zur Teilhabe an eurer Vision von einem besseren Menschsein eingeladen habt, heute zumuten, erst durch die Anmeldung in akute Hoffnung versetzt, dann aber zu Abertausenden enttäuscht zu werden? Und das auch noch in zwei Anläufen?
Ich empfinde diese Idee als irgendwas zwischen Größenwahn und blankem Sadismus - vermutlich ist es aber einfach nur Verzweiflung. Das Gesetz der grossen Zahl besagt, dass Freundschaften und Beziehungen daran zerbrechen werden. First-come-first-serve wäre kollektivemotional viel preiswerter, und das musste doch auch euch klar sein.
Verzeiht mir den nun folgenden recht unflätigen Vergleich, ich würde ihn nicht bringen, wenn ich den logischen Unterschied gefunden hätte: Die systematisch zwingende Massenenttäuschung - ist sie in diesem "übergerechten" Losverfahren nicht ähnlich angelegt wie einst die Grenzsprengfallen im Staatssystem der DDR? Beides logische Konsequenzen von Leuten, die mit dem Noch-Gleicher-Machen nicht aufhören wollten. (Ansonsten müsste man fragen, ob den DDR-Entscheidern wirklich jede Räson und jede Philanthropie ab- und nur noch totale Menschenverachtung zugesprochen werden kann - aber ich bitte euch, es wird doch ständig aus den edelsten Motiven getötet!)
In beiden Fällen sind im Ergebnis die Verluste so hoch, dass vernünftige Menschen das Ergebnis nicht mehr als gerecht akzeptieren können, und es auch keine Rolle mehr spielt, ob die Verteilung der idealen Gleichheit nahekommt. Hierin sehe ich die ethische Strukturgleichheit der beiden Beispiele, wiewohl das eine vielleicht wirklich nur als Spass, das andere aber schon als mindestens zartbitterer Ernst auftritt. Oder anders: Der Selbstanspruch der Fusion macht den Vergleich überhaupt erst möglich.
Die Fusion-Crew hat Gerechtigkeit mit Gleichheit verwechselt.
Die eine Gerechtigkeit heißt auch so, und ist ein immer angreifbares Ergebnis der praktischen Vernunft. Die andere, die "Gleichheit", bleibt ein theoretisches Konstrukt. Sie ist verlockend simpel, aber wer sich in sie flüchtet, läuft Gefahr, aus lauter Angst vor Restungerechtigkeit noch viel ungerechter als nötig zu sein.
Beobachten wir einen typischen, womöglich unvermeidlichen linken Denkfehler? Er wäre unverzeihlich: Die ganze ferienkommunistische Idee hätte sich selbst ad absurdum geführt. Oder wird eine nicht minder linke Neigung zur Destruktion virulent, nämlich der Sozialneid, der sich in Hass auf die, Zitat, "miesen Spekulant_innen" entlädt? Aber schon nach eigenem Bekunden wird das Szenario dadurch allenfalls "nicht sympathischer".
Man spielt das Problem herunter, sieht sich gleichwohl "herausgefordert, diese Abzockerei zu stoppen": Ist er das also, der menschenverachtende Subtext der Gleichmacherei? Weil wenigen auf Teufelkommraus nicht vergönnt sein soll, sich zu bereichern, müssen am Ende alle leiden?
Wann hört der Pauschalethik-Unfug auf? Es gibt eine viel wichtigere Herausforderung: Eine große Idee könnte zugrundegehen.
Die ökonomische Perspektive zeigt sich im Vergleich zur politisch-moralischen als deutlich erkenntnisreicher: Die Fusion kämpft mit den Bedingungen der digitalen Massengesellschaft und tut so, als sei das etwas Außerordentliches. Ist es aber nicht, es ist kalkulierbar. Viel bedauerlicher noch als das Zerbrechen von ein paar Freundschaften wäre folglich das Auseinanderbrechen des ganzen Konzepts, nur weil niemand auf die Idee kam, einen Blick in die moderne BWL zu werfen.
Die Antwort ist bekannt und lautet "Yield Management". Das ist Vertrieb mit Überblick. Er beginnt früh, vielleicht schon am ersten Tag nach der letzten Fusion mit der Eröffnung des nächsten Ticketverkaufs. Der Preis steigt dann mit der Anzahl der bereits verkauften Tickets. In welchem Verhältnis, kann und muss man herausfinden. Aber wenn man den Koeffizenten richtig wählt, dann gibt es null Schwarzmarkt. Marktgesetz. Und wenn der letzte dann 10.000 EUR bezahlt, dann hat die Fusion dem Marktgesetz ein Schnippchen geschlagen: Sponsoring ohne Namedropping oder Brand Placement. Transformation von persönlichen Präferenzen in Altruismus. Die ersten paar tausend Tickets werden auf 5 EUR und darunter quersubventioniert. Geil.
Merke: Für die Gerechtigkeit muss nicht immer der Preis gleich sein, Leistungäquivalenz genügt.
Es ist also nur ein Folgefehler, ein bürokratisches Ticketverteilungskonzept zu implementieren. Das Problem entsteht schon, wenn der Ticketverkauf zu einem Zeitpunkt beginnen soll, an dem der Markt bereits überheizt ist. Und spätestens wenn der Marktdruck den Preis dann nach oben dynamisiert, ist man de facto gezwungen, diese Dynamik zu organisieren.
Bleibt die Frage, nach welchem Kriterium dies geschieht. Wenn nicht der Gewinn maximiert werden soll, welche Variable ist es dann? Zugang zu Breitbandinternet sowie die Minimierung des Schwarzmarktpreises wurden vorgeschlagen. Man kann darüber lachen, aber es bringt nichts, viel zu sehr drängt das Problem, dass die Frage eben nicht beantwortet ist.
Die Fusion betreibt schon seit Jahren Yield Management - müsste eigentlich nur die Formel dafür neu aufstellen.
Die Ironie der ganzen Debatte besteht darin, dass sämtliche Vorschläge, die hier im Forum zu lesen sind, letztlich Varianten des Yield Managements darstellen: Immer dann nämlich, wenn Kontingente über die Zeit gestaffelt werden, liegt definitionsgemäss der Versuch einer flexiblen Kapazitätssteuerung vor.
Ein veritabler Streit um die Zeitpunkte und Losgrössen der Staffelung ist gegenwärtig aber nutzlos. Denn die Faktoren
a) Gesamtzahl der Tickets
b) Gesamtzahl der Interessenten und ihre Zahlungsbereitschaft
c) Zeitpunkt des Verkaufsstarts
d) Richtpreis und Preisstaffelung
e) Tatsächliche Anzahl der verkauften Tickets
f) Schwarzmarktpreis und Schwarzmarktvolumen
stehen nicht alleine. Verändert man eine Variable, dann verändern sich alle anderen unweigerlich mit. Der Streit ist deshalb obsolet, weil noch nicht klar ist, welche der Variablen maximiert, und welche minimiert werden sollen. Oder präziser: Durchschnittlicher Ticketpreis und Schwarzmarktpreis lassen sich nicht gleichzeitig in dieselbe Richtung beeinflussen. Doch genau so lautet bisher die Ansage, und die ganze Probleme entstehen nur, weil die Aufgabenstellung grundsätzlich paradox formuliert wurde.
Wer kostenlose Optionen ausgibt, gleichzeitig aber Tickets zurückkauft, behauptet einen Zusammenhang zwischen der Nachfrage nach kostenlosen Optionen und der Nachfrage nach kostenpflichtigen Tickets. Das ist ersichtlich falsch.
Zwei Anwendungsbeispiele zur Verdeutlichung:
1. Lösen wir die Gleichung auf für das, was zumindest behauptet wird, nämlich die Minimierung von f). Dann fällt gleich auf, dass es sich bei
g) Anzahl der Tickets pro Person
h) Vorgängige Vergabe von Optionen
i) Personalisierung
nur um Dämpfungsfaktoren handelt, zu freilich hohen Administrationskosten. Die eigentliche Marktmechanik, insbesondere f), vermögen sie nicht zu verändern bzw. zu begrenzen, sondern eben nur zu dämpfen.
Wenn aber erkannt ist, dass f) nie Null sein wird, sobald a) nicht mehr unendlich ist, dann lautet die Frage doch nicht mehr, wie weit man g), h) und i) aufmunitionieren muss, bis f) erträglich erscheint. Ausgangspunkt ist vielmehr die Einsicht, dass bei schrittweiser Maximierung von d) eine Begrenzung von g) ausreicht - mit dem schönen Nebeneffekt, dass auf h) und vor allem i) mit Liquiditätszugewinn und Kostenersparnis verzichtet werden kann.
2. Betrachten wir noch kurz die frühere Situation mit unbegrenztem a): Warum gab es verbilligte Early Birds? Weil das Konzept noch mit dem Markt in Einklang stand - die Fusion war ja noch am Wachsen. Folgerichtig (niedrige Grenzkosten) wurde der Gesamtumsatz maximiert, nämlich via d) = Frühbucherrabatte. Man kann das Kalkül auch so beschreiben: Das Marktsegment der weniger zahlungskräftigen Interessenten wurde zunächst abgeschöpft, um den späteren Absatz von höherpreisigen Tickets zu ermöglichen.
Ein Ansatz könnte darin bestehen, dass die Fusion selbst beginnt, Tickets bei eBay zu versteigern.
Wenn nun b) > a), a) begrenzt, und c) schon zur Hälfte verspielt ist, dann lautete die logische Konsequenz genau umgekehrt: Rückwärtsauktion. Schliesst man das aus ideellen Gründen aber aus, obgleich sich bei b) bereits eine Blase gebildet hat, dann ist guter Rat in der Tat teuer.
Aber mit Verlaub: An dem Dogma festzuhalten, den Preis gegen den Markt diktieren zu wollen, führt automatisch zu solchen Options-Losverfahren, mit all ihren praktischen, ideellen und effizienzschädlichen Folgeproblemen. Die bereits eingerichtete "eBay-Preispolizei" ist nicht nur konsequent, sie wird notwendig. Wenn der Fusion-Newsletter stolz seine Erfolge gegen eBay-Tickethändler verkündet, dann ist das so, wie wenn das Bundeskriminalamt mit Stolz soundsoviel verurteilte Kiffer bilanziert: Es hat sich zwar nicht gelohnt, es ändert auch nichts, aber immerhin hat man irgendeine Aktivität entwickelt und damit der Ideologie Genüge getan. "Erfolgreiches Scheitern" heisst die politikwissenschaftliche Theorie dazu.
Wenn die Fusion nun selbst begänne, vorab kleine Chargen auf eBay zu versteigern, dann wäre zunächst einmal sichergestellt, dass der Auktionspreis nach oben harte Grenzen hat. Denn alle wissen: Das reguläre Kontingent kommt ja erst noch. Abschöpfen würde man folglich nicht die niedrige Zahlungsbereitschaft, sondern zunächst die problematische, weil preistreibende hohe.
Der Trick besteht darin, das Angebotsvolumen solange zu erhöhen, bis der eBay-Preis den Nominalpreis approximiert. Dann kann man gefahrlos das gesamte Restkontingent auf den Markt werfen, vielleicht auch hier noch mit einem dämpfenden Zuschlag, der in der Folge kontinuierlich sinkt. In dieser Zeitspanne haben alle echten Interessenten genug Zeit und Gelegenheit, ihr Ticket zu kaufen. Die Verkaufszahlen veröffentlicht man natürlich nicht.
Wer nun immer noch auf den Preis wetten möchte, sieht sich dem Problem gegenüber, dass er nicht weiss, wie lange die Fusion ihn noch abwärtsverteidigen kann. Bildlich: Keiner kauft im Februar Heizöl, obwohl bekannt ist, dass der Preis über den Sommer stagnieren wird, nur weil die theoretische Möglichkeit besteht, dass er im Herbst wieder steigt.
Auf h) und i) kann verzichtet werden. Alle Evidenz spricht dafür, dass am Ende mehr als die 5000 Tickets vom letzten Jahr liegenbleiben. Gleichzeitig ist klar, dass die Gesamteinnahmen höher sein werden als letztes Jahr.
Spekulation ist definiert als das Halten von Positionen nicht aus natürlichem Bedarf, sondern aus dem Kalkül, sie später mit Gewinn glattstellen zu können. Wie effizient das vorgeschlagene Vorgehen Spekulation verhindert, sieht man aktuell daran, dass es der Schweizer Nationalbank seit Wochen gelingt, den EUR/CHF-Kurs bei 1,20-1,24 einzunorden, obwohl er vorher bis auf 1,02 gesunken war. Kein vernünftiger Mensch wettet noch auf den Franken, obgleich alle wissen, dass die Devisenkapazitäten der SNB natürlich auch nicht unendlich sind.
Nur zur Erinnerung: Im Interesse der Schweizer Exportwirtschaft liegt nicht ein starker, sondern ein schwacher Franken, beliebig schwächen kann die SNB ihn aber nicht. Im erklärten Interesse der Fusion liegt nicht ein möglichst hoher, sondern ein moderater Ticketpreis, beliebig senken kann sie ihn genauso nicht.
Fazit
Wenn jemand an der steigenden Nachfrage verdient, dann sollte es die Fusion selbst sein. Und da auswegslos jemand daran verdienen wird, MUSS die Fusion sich damit auseinandersetzen, wie sie dieses Geld möglichst zivil vereinnahmt - anstatt ihre Ressourcen auf Kopierschutz - pardon, Schwarzmarkthemmungskosmetik zu vergeuden, und damit den Wert ihrer Marke - tschuldigung, die Wirkung ihrer Idee zu demontieren.