Re: Oberkörperfrei die Hundertste
Verfasst: Do 4. Jul 2024, 10:53
Was mich an dieser Debatte mal wieder am meisten erschreckt, ist die Inbrunst, mit der manche hier im Forum andere für "unerwünscht" oder "fehl am Platz" erklären, nur weil sie eine andere Auffassung zu No-Shirt-No-Service vertreten.
Ich kann verstehen, dass der Ursprungspost sprachlich und inhaltlich stellenweise problematisch ist und ich möchte mich mit dem Autor nicht gemein machen. Dennoch halte ich das zugrunde liegende Anliegen für berechtigt und das Thema für diskussionswürdig. Es schockiert mich, wie inhaltlich totalitär (entweder du stimmst meiner Position 100 Prozent zu, oder du hast auf der Fusion angeblich nix verloren) und autoritär (irgendwelchen fremden Menschen übergriffig an die Brust fassen) eine kleine, aber dafür sehr laute/aggressive Gruppe hier drauf ist. Es sind genau solche Charaktere, die dazu führen, dass Menschen sich von der politischen Linken zunehmend entfremden bzw. die politische Linke immer weiter zersplittert. Die Rechten lachen sich über diese Selbstzerfleischung wahrscheinlich ins Fäustchen. Das nur am Rande.
Ich habe erneut eine kleine Umfrage in meinem Camp gemacht (immerhin 15 Personen, ausgewogen gemischtgeschlechtlich). Das Ergebnis war, dass 12 Personen die No-Shirt-Policy ablehnen, sich aber nicht trauen würden dagegen zu verstoßen. Zwei Personen standen der Policy eher neutral gegenüber und eine bekundete Zuspruch. Schon klar, das das nicht repräsentativ ist. Aber es zeigt, dass linke Personen nicht automatisch alles gut finden, nur weil es irgendeine radikale Splittergruppe versucht mit aller Macht durchzusetzen. Alle diese Personen sind dezidiert links eingestellt und fühlen sich der Fusion sehr verbunden. Ihnen einfachmal ihre Teilnahme am Festival abzusprechen, finde ich einigermaßen grotesk und unverschämt.
Ich persönlich sehe die No-Shirt-No-Service-Policy differenziert-kritisch:
Was ich gut finde, ist, dass es Macker potenziell abschrecken könnte bzw. diese in ihrem unangenehmen Verhalten zügelt. Das ist ein valider Punkt, den es jedoch gegen andere, möglicherweise nachteilige Aspekte abzuwägen gilt.
Ich persönlich ziehe mein Shirt übrigens nie aus und das ist auch vollkommen ok für mich. Ich fühle mich durch die Policy also weder betroffen noch irgendwelcher Privilegien beraubt (falls dieser haltlose Vorwurf hier kommen sollte). Mein Problem mit der No-Shirt-Policy ist rein inhaltlicher/logischer Natur. In einem anderen Post habe ich mehrere Fragen aufgeworfen, die mir bis jetzt von Verfechter:innen der No-Shirt-No-Service-Policy leider nicht beantwortet wurden. Deshalb versuche ich es hier noch einmal:
1. Es heißt ja immer, dass das Ziel sei, dass alle irgendwann unbeschwert oberkörperfrei sein können sollten. Dieses Ziel teile ich zu 100 Prozent (Meine Kritik ist also keine Zielkritik, sondern eine Methodenkritik). Die Befürworter:innen von No-Shirt-No-Service sagen, dass bis dieses Ziel erreicht ist, "Männer" erstmal zurückstecken sollten. Hier frage ich mich: Wer entscheidet eigentlich darüber, wann das Ziel, wo genau und wie weitgehend erreicht ist? Wo genau ist der Umschlagpunkt, wo Befürworter:innen dann sagen, ab jetzt ist das Ziel erreicht und wir können alle unsere Shirts ausziehen? Muss das Ziel gesamtgesellschaftlich erreicht sein, gar weltweit? Oder reicht es, dass es auf der Fusion erreicht scheint? Und wie genau wird das dann gemessen/bestimmt? Ich sehe einfach die Perspektive nicht. Für mich fehlt bei dieser Regel die Zielgerichtetheit und ein nachvollziehbarer Exit-Point.
2. Die No-Shirt-No-Service-Regel basiert auf Prämissen, die wissenschaftlich bzw. logisch nicht haltbar sind. Im Prinzip handelt es sich einfach nur um ideologische Behauptungen. Z.B. wäre die Frage zu untersuchen, ob Frauen sich wirklich freier fühlen, oberkörperfrei rumzulaufen, wenn Männer dies nicht dürfen oder aber sich in Wirklichkeit freier fühlen, wenn ALLE halbwegs nackt sind. Meine Vermutung wäre, dass der Fokus auf die Nacktheit der Frau zunimmt, wenn alle anderen nicht mehr nackt sind, wohingegen er abnimmt, wenn alle nackt sein dürfen. Man denke beispielsweise nur mal an FKK. Auch hier nimmt die Sexualisierung dadurch ab, dass alle nackt sind (als neuer Standard). Wären hingegen nur die Frauen nackt, glaube ich, würden sich diese schnell nicht mehr so wohl fühlen und der Fokus auf den weiblichen Körper würde seitens des Umfeldes zunehmen.
3. Warum sollte die Regel nur an manchen Orten gelten, nicht aber am Badesee/Kanal/Shower Tower etc? Die Sexualisierung der weiblichen Brust hört schließlich nicht 3 Meter vor dem Badesee auf. Soll fortan also auch No-Shirt-No-Swimming/showering-Regel gelten?
4. Wer bestimmt eigentlich darüber, wer als "Mann" zu gelten hat. Gerade die identitäre Linke (von der wahrscheinlich auch die No-Shirt-No-Service-Policy ausgeht) betont doch immerzu, dass geschlechtliche Identität fluide/unbestimmt sein kann und schon gar nicht binär am äußeren Erscheinungsbild festgemacht werden kann. Wie soll eine solche Regel also sinnvoll durchsetzbar sein? Indem man Menschen traditionell nach ihrem Erscheinungsbild einer geschlechtlichen Schublade zuordnet und Ihnen dann wie oben von jemand geschildet, ungefragt in die Brüste kneift? Das kann doch wirklich nicht ernst gemeint sein.
Meines Erachtens steht diese ganze No-Shirt-No-Service-Sache fast stellvertretende für den teils miserablen Zustand der heutigen politischen Linken. Da gibt es eine hochideologisierte, aggressive kleine Minderheit, die meint sie müsste dem ganzen Rest eine logisch und wissenschaftlich kaum begründbare Regel aufdrücken und diese dann autoritär durchsetzen. Wer nicht mitmacht oder was dagegen hat, dem wird mal eben so das Links-sein oder die Fusion-Tauglichkeit abgesprochen. Bei so viel Unreife, Verbitterung und Borniertheit kann ich wirklich nur noch den Kopf schütteln.
Übrigens habe ich auf der diesjährigen Fusion viele oberkörperfreie Frauen gesehen, die sich offensichtlich wohl damit gefühlt haben. Ich fand das wirklich schön zu sehen und es zeigt, dass die Fusion womöglich schon sehr viel näher an dem zu erreichenden Ziel dran ist, als manche es uns hier (wohl aus ideologischer Verbitterung) glauben machen wollen.
Mein konstruktiver Vorschlag zum Ende wäre: Alle dürfen das anziehen oder auch nicht, was sie wollen. Dafür sollten wir unsere Awareness für und Instrumentarium gegen sexuelle Übergriffigkeit (z.B. auch schon was so Dinge wie "Starren" anbetrifft) nochmal doppelt und dreifach nachschärfen. Ziel ist eine Atmosphäre, wo sich jeder Mensch ohne Angst vor unangemessener Sexualisierung wohlfühlen kann.
Ich kann verstehen, dass der Ursprungspost sprachlich und inhaltlich stellenweise problematisch ist und ich möchte mich mit dem Autor nicht gemein machen. Dennoch halte ich das zugrunde liegende Anliegen für berechtigt und das Thema für diskussionswürdig. Es schockiert mich, wie inhaltlich totalitär (entweder du stimmst meiner Position 100 Prozent zu, oder du hast auf der Fusion angeblich nix verloren) und autoritär (irgendwelchen fremden Menschen übergriffig an die Brust fassen) eine kleine, aber dafür sehr laute/aggressive Gruppe hier drauf ist. Es sind genau solche Charaktere, die dazu führen, dass Menschen sich von der politischen Linken zunehmend entfremden bzw. die politische Linke immer weiter zersplittert. Die Rechten lachen sich über diese Selbstzerfleischung wahrscheinlich ins Fäustchen. Das nur am Rande.
Ich habe erneut eine kleine Umfrage in meinem Camp gemacht (immerhin 15 Personen, ausgewogen gemischtgeschlechtlich). Das Ergebnis war, dass 12 Personen die No-Shirt-Policy ablehnen, sich aber nicht trauen würden dagegen zu verstoßen. Zwei Personen standen der Policy eher neutral gegenüber und eine bekundete Zuspruch. Schon klar, das das nicht repräsentativ ist. Aber es zeigt, dass linke Personen nicht automatisch alles gut finden, nur weil es irgendeine radikale Splittergruppe versucht mit aller Macht durchzusetzen. Alle diese Personen sind dezidiert links eingestellt und fühlen sich der Fusion sehr verbunden. Ihnen einfachmal ihre Teilnahme am Festival abzusprechen, finde ich einigermaßen grotesk und unverschämt.
Ich persönlich sehe die No-Shirt-No-Service-Policy differenziert-kritisch:
Was ich gut finde, ist, dass es Macker potenziell abschrecken könnte bzw. diese in ihrem unangenehmen Verhalten zügelt. Das ist ein valider Punkt, den es jedoch gegen andere, möglicherweise nachteilige Aspekte abzuwägen gilt.
Ich persönlich ziehe mein Shirt übrigens nie aus und das ist auch vollkommen ok für mich. Ich fühle mich durch die Policy also weder betroffen noch irgendwelcher Privilegien beraubt (falls dieser haltlose Vorwurf hier kommen sollte). Mein Problem mit der No-Shirt-Policy ist rein inhaltlicher/logischer Natur. In einem anderen Post habe ich mehrere Fragen aufgeworfen, die mir bis jetzt von Verfechter:innen der No-Shirt-No-Service-Policy leider nicht beantwortet wurden. Deshalb versuche ich es hier noch einmal:
1. Es heißt ja immer, dass das Ziel sei, dass alle irgendwann unbeschwert oberkörperfrei sein können sollten. Dieses Ziel teile ich zu 100 Prozent (Meine Kritik ist also keine Zielkritik, sondern eine Methodenkritik). Die Befürworter:innen von No-Shirt-No-Service sagen, dass bis dieses Ziel erreicht ist, "Männer" erstmal zurückstecken sollten. Hier frage ich mich: Wer entscheidet eigentlich darüber, wann das Ziel, wo genau und wie weitgehend erreicht ist? Wo genau ist der Umschlagpunkt, wo Befürworter:innen dann sagen, ab jetzt ist das Ziel erreicht und wir können alle unsere Shirts ausziehen? Muss das Ziel gesamtgesellschaftlich erreicht sein, gar weltweit? Oder reicht es, dass es auf der Fusion erreicht scheint? Und wie genau wird das dann gemessen/bestimmt? Ich sehe einfach die Perspektive nicht. Für mich fehlt bei dieser Regel die Zielgerichtetheit und ein nachvollziehbarer Exit-Point.
2. Die No-Shirt-No-Service-Regel basiert auf Prämissen, die wissenschaftlich bzw. logisch nicht haltbar sind. Im Prinzip handelt es sich einfach nur um ideologische Behauptungen. Z.B. wäre die Frage zu untersuchen, ob Frauen sich wirklich freier fühlen, oberkörperfrei rumzulaufen, wenn Männer dies nicht dürfen oder aber sich in Wirklichkeit freier fühlen, wenn ALLE halbwegs nackt sind. Meine Vermutung wäre, dass der Fokus auf die Nacktheit der Frau zunimmt, wenn alle anderen nicht mehr nackt sind, wohingegen er abnimmt, wenn alle nackt sein dürfen. Man denke beispielsweise nur mal an FKK. Auch hier nimmt die Sexualisierung dadurch ab, dass alle nackt sind (als neuer Standard). Wären hingegen nur die Frauen nackt, glaube ich, würden sich diese schnell nicht mehr so wohl fühlen und der Fokus auf den weiblichen Körper würde seitens des Umfeldes zunehmen.
3. Warum sollte die Regel nur an manchen Orten gelten, nicht aber am Badesee/Kanal/Shower Tower etc? Die Sexualisierung der weiblichen Brust hört schließlich nicht 3 Meter vor dem Badesee auf. Soll fortan also auch No-Shirt-No-Swimming/showering-Regel gelten?
4. Wer bestimmt eigentlich darüber, wer als "Mann" zu gelten hat. Gerade die identitäre Linke (von der wahrscheinlich auch die No-Shirt-No-Service-Policy ausgeht) betont doch immerzu, dass geschlechtliche Identität fluide/unbestimmt sein kann und schon gar nicht binär am äußeren Erscheinungsbild festgemacht werden kann. Wie soll eine solche Regel also sinnvoll durchsetzbar sein? Indem man Menschen traditionell nach ihrem Erscheinungsbild einer geschlechtlichen Schublade zuordnet und Ihnen dann wie oben von jemand geschildet, ungefragt in die Brüste kneift? Das kann doch wirklich nicht ernst gemeint sein.
Meines Erachtens steht diese ganze No-Shirt-No-Service-Sache fast stellvertretende für den teils miserablen Zustand der heutigen politischen Linken. Da gibt es eine hochideologisierte, aggressive kleine Minderheit, die meint sie müsste dem ganzen Rest eine logisch und wissenschaftlich kaum begründbare Regel aufdrücken und diese dann autoritär durchsetzen. Wer nicht mitmacht oder was dagegen hat, dem wird mal eben so das Links-sein oder die Fusion-Tauglichkeit abgesprochen. Bei so viel Unreife, Verbitterung und Borniertheit kann ich wirklich nur noch den Kopf schütteln.
Übrigens habe ich auf der diesjährigen Fusion viele oberkörperfreie Frauen gesehen, die sich offensichtlich wohl damit gefühlt haben. Ich fand das wirklich schön zu sehen und es zeigt, dass die Fusion womöglich schon sehr viel näher an dem zu erreichenden Ziel dran ist, als manche es uns hier (wohl aus ideologischer Verbitterung) glauben machen wollen.
Mein konstruktiver Vorschlag zum Ende wäre: Alle dürfen das anziehen oder auch nicht, was sie wollen. Dafür sollten wir unsere Awareness für und Instrumentarium gegen sexuelle Übergriffigkeit (z.B. auch schon was so Dinge wie "Starren" anbetrifft) nochmal doppelt und dreifach nachschärfen. Ziel ist eine Atmosphäre, wo sich jeder Mensch ohne Angst vor unangemessener Sexualisierung wohlfühlen kann.