Hab ja schon gewartet, wann das Thema wieder kommt
Ich habe mich da vor ein paar Jahren, als ich es das erste Mal wahrgenommen habe, auch voller Unverständnis aufgeregt. Heute sehe ich das differenzierter - denke aber dennoch nicht, dass das der Weg ist, mit dem man das angestrebte Ziel erreichen kann. Ich verstehe es vollkommen, dass man in der Menschenmenge nicht unbedingt oberkörperfrei sein muss, auch nicht an den Bars, Verkaufsständen usw. Wenn aber genug Platz ist, sehe ich keinen wirklichen Grund, warum mein Körper jetzt verboten sein sollte.
Früher hatte ich mal einige Komplexe mehr mit meinem Körper und hab deshalb nie mein Shirt ausgezogen. Heute sieht der im Endeffekt genau so aus, wenn auch etwas älter, und ich hab deutlich weniger Probleme - gerade auch wegen der Erfahrung auf Festivals, dass ich okay so bin, wie ich bin. Das war auch bei den ersten Fusions so, aber irgendwann wurde mein Körper von anderen Leuten problematisiert und jetzt fühle ich mich damit auf dem Festival unwohl und trage deshalb ein Shirt, weil ich nicht wegen meiner Kleidung und meinem Geschlecht von anderen Leuten dumm angemacht werden will. Ironisch irgendwie, dass das gerade in einer Positivity-Ecke wie der Fusion passiert. Naja, tut ja auch nicht weh.
Das ist auch schade für Personen mit Busen, die gerne oberkörperfrei rumlaufen würden und das aber ausgerechnet auf der Fusion nicht können. In meinem Camp waren mehrere Frauen, die dort oberkörperfrei unterwegs waren und das in Lärz als eine Befreiung empfinden bzw. in der Vergangenheit mal so empfunden haben - dann aber für den Gang aufs Gelände ein Shirt anziehen. Nicht wegen potentieller Bedrohung durch Männer, sondern vor allem aus Angst vor Beleidigung und Stigmatisierung durch andere Leute, die auf die Bedeckung aller Körper auf der Fusion bestehen. Ich persönlich sehe darin eher eine Rückentwicklung, aber die Stimmen sind sehr laut und aggressiv, da steckt man lieber vorsichtshalber zurück. Das sahen auch eigentlich alle Frauen so, mit denen ich darüber gesprochen habe.
Was ich jedoch in jedem Fall für eine absolute Frechheit finde, ist dass man das mit aller Gewalt sogar auf den Toiletten durchziehen will. Gehts noch? Sanitäre Versorgung ist ein Menschenrecht und das wird einem ausgerechnet auf der Fusion aufgrund von Kleidung und Geschlecht verweigert?
Ich habe 2018 oder 2019 bei 36°C Außentemperatur und kurz nachdem leider jemand auf dem Fest (vermutlich im Zusammenhang mit Hitze) verstorben ist, leider nicht die Toiletten aufsuchen dürfen, weil mein Shirt bei meinen Freunden lag und ich leider sehr dringend musste. Dann wurde ich von einer Gruppe aus 5-6 weiblich gelesenen Personen aufs übelste beschimpft und weggeschickt. Zum Glück waren meine Freunde nicht weit und ich konnte mir mein Shirt schnell holen und die Notdurft verrichten. Habe mir da fast in die Hose gekackt und das wegen eines Shirts

. Auf einem Klo, bei dem ich alleine in der Kabine sitze... Habe daraufhin mich für eine Weile neben die Schlange gestellt und allen oberkörperfreien Männern solidarisch mein Shirt angeboten.
Diesen Vorfall habe ich auch hier im Forum gepostet. Daraufhin kam folgende Passage im nächsten Newsletter:
# No shirt no problem
Nachdem „no shirt no service“ ja bereits im vergangenen Jahr Wellen
geschlagen hatte, ist es in diesem Jahr erneut zu großen Kontroversen
darüber gekommen. Neben Bars und Müllstationen hat sich das Thema auch in
andere Bereiche, wie beispielsweise zu einigen Toiletten getragen. Wir
respektieren, dass es einem Teil unserer mitarbeitenden Gruppen ein
Bedürfnis ist, mit dieser Kampagne Männerprivilegien zu thematisieren.
Wir wollen auch in diesem Jahr nicht aktiv in diese Diskussion einsteigen
und verweisen erneut auf die Auseinandersetzung im Forum
(viewtopic.php?f=34&t=26978&sid=a38fc815 ... 82b99200ea),
sowie unsere Stellungnahme aus dem letzten Jahr
(viewtopic.php?f=32&t=23285&sid=a38fc815 ... 80#p103946).
Was wir aber erwarten ist, dass die Grenzen von pädagogisch sinnvoller
Aufklärung in dieser Kampagne gewahrt bleiben. Wir sehen diese Grenzen
spätestens dann überschritten, wenn Männern ohne Shirt verweigert wird,
die Toilette zu benutzen oder ihren Müllbeutel abzugeben und das ihnen
zustehende Müllpfand dafür zu bekommen.
Wir fordern alle auf, diese Auseinandersetzung konstruktiv und Fusion-affin
zu führen, denn es sollte um Bewusstseinsarbeit gehen. Aggressive
Machtdemonstrationen sehen wir als Kulturkosmos hier nicht zielführend,
denn niemand muss Macker:in sein!
Edit: Möchte noch - weil gerade als unproblematisch beschrieben - darauf hinweisen, dass der Spruch "No Shirt, No Service" verdächtig nahe an "No Shoes, No Shirt, No Service" angelehnt scheint. Ein Spruch, der vor allem in den USA vor Restaurants und dergleichen stand, um der armen (vorwiegend schwarzen) Bevölkerung den Zutritt zu verwehren, nachdem das aufgrund der Aufhebung der Rassengesetze nicht mehr möglich war.