If you don't mind:
Montag - 1.7.
Nach erfolgreicher Verpassung der letzten Bahn zurück nach Hamburg, haben meine Freunde und ich entschieden, uns eine letzte Nacht in diesem wunderschönen Paralleluniversum aufzuhalten. Wir schlagen unser Zelt wieder auf, und tapsen, ausgesaugt von den letzten zu Stunden zusammengeschmolzenen Tagen, zur Fressmeile um uns mit nötiger Nahrung zu versorgen. Nach ein wenig Pizza esse wir die Pappe die mir diese liebliche Rehaugendame verkauft hat. Nach meinem filmreifen Pilztrip auf der Tanzwiese am strahlenden Donnerstag, konnte diese Reise alleine von Restenenergie und Szenerie äußerst interessant werden.
Gegen 0030 gehen wir Richtung Karl Kutter von wo wir harmonische, ruhige Musik vernehmen können. Die warme Beleuchtung der liebevollen Tanzaula, die abstinente Überfüllung des benötigten Raums für körperliche und psychische Unberührtheit und die wabernden Nebelschwaden wirken sofort ihren Zauber auf mich. Wir tanzen ein wenig.
Ich sehe Eve und Diana hinter einem Regenbogenfarbenen Vorhang. Ihre Telleraugen strahlen mich an, sich fragend ob man den schon drin sei, was könnte sich denn verändert haben? Gegen 0100 gehe ich kurz raus, und setze mich auf die riesige, grüne Bank, um über mögliche Zukunftsszenarien nachzudenken. Was habe ich für Entscheidungen zu treffen, wie sollte ich vorgehen, und was kommt wohl, wenn ich x oder y mache? Während mein Körper ein wenig mit der Bank verschmilzt, denke ich über freudige, schöne Dinge nach. Die Musik ist sehr abwechslungsreich, aber äußerst gut.
Ich wanke zurück, nachdem ich auf einem abgelegenen Berg mit guter Aussicht kacken war.
Inzwischen sehe ich wie durch eine Kamera. Die Dinge die ich fokussiere, geraten in den Vordergrund, werden scharf gestellt und/oder laufen in Zeitlupe. Meine beiden Freunde staunen ein bisschen durch die Gegend, und wir gehen gemeinsam zum Leuchtturm und setzen uns auf eine Bank. Mit dieser Bank verschmilze ich nochmals. Dort wo sich eigentlich meine Gliedmaßen befinden sollten, spüre ich nun einen warmen, relativ grenzenlosen Quell warmer Energie.
Mein rechter Arm, der abgeschieden auf der Armlehne lag ist noch frei! Ich kann durch meine stark verzerrte 360° Perspektive meinen Arm rumwackeln sehen, mein Arm hat momentan aber keinen sonderbaren Nutzen, also lasse ich ihn fallen. Bald verschwindet auch er.
Ich höre Eves Stimme, direkt neben meinem Gehirn. Beide befinden sich jetzt in einem abgeschiedenen Raum, von dem man, wenn man mag, in die "Außenwelt" schauen kann. Später verstärkt sich das Gefühl, mein Kopf, oder mehr mein Bewusstsein, würde die Realität umschließen, und nicht anders herum. Nachdem wir uns ein Weilchen unterhalten haben, rüttle ich mich und dieses komische Ding Körper wieder wach, und versuche, mir eine Zigarette zu drehen. Eine nette Frau kommt, und gibt uns ein paar Filter. Ich bin mir sicher, die Frau hat gemerkt, dass sich die brabbelnden Babys, deren adultes Mimikry durch ihre grobmotorik platzte, auf einer Butterschmelzenden Substanz wie LSD befinden. Sie ist sehr nett zu uns, redet langsam und freundlich, und geht, sobald wir ihr die Filter gegeben haben. Ich verhalte mich natürlich sozial inkompatibel, und mache mir nach der Verabschiedung große Sorgen, zu sehr so geklungen zu haben, als würde ich einer Kassiererin im Supermarkt Tschüß sagen. Nette Frau, wenn du das liest und dich erinnerst: Danke, dass du so nett warst, und tschuldige für meine schlechte Betonung.
Inzwischen sind wir bei 0200. Wir tanzen hinter dem Sofa im Sand. Irgendwann wird es voll und gruselig.
Ich mag keine Sonnenbrillen, und so bin ich allen Blicken und der damit verbundenen Kommunikation ausgesetzt!
Mir wird nochmal bewusst, dass sich hier ja auch andere Substanzen im Fischtank befinden. Ich schwimme ein bisschen in der Musik und schließe die Augen. Perfekt.
Der DJ hat einen unheimlich breit gefächerten Musikgeschmack, den er mit Witz und Gespür für musikalische Kontraste zur Schau spielt. Aus unterschiedlichen Bestandteilen bekannter Melodien, Stimmen, Sätzen, oder ähnlichem, verhackstückte er einen Beat, der mich in das nächste Lied gleiten ließ, ohne zu wissen, was mich getroffen hat. Als er eine kurze Sequenz eines fröhlichen Klimperliedes zu einem unheimlich dreckigen, ballernden, schnellen und lauten Dubstep mutieren lässt, kann mich nichts mehr halten. DJ, du steuerst einfach, ich guck mir von hier oben zu. Bam, bam, bam, bam.
Meine Arme schwirren präzise meinen Körper herunter, ich grabe mir mit meinen Hacken wieder eine kleine Kuhle und nicke schockartig. Als ein Ton diesen bestimmten Punkt in jedermenschs Kopf trifft, drehen sich meine Augen nach hinten. Ich werfe den Kopf in den Nacken, als sich eine elektrische Welle meinen Körper herunterzieht. Elektrisch. Ekstatisch. Alles das selbe. Der Puppentänzer lässt mich kurz los, und ich schnaufe. Nicht vor Erschöpfung, mein Körper ist eine Feder, vor geistiger Stimulation. Während sich mein Körper wie von selbst bewegt, und mir ein Gefühl von coolness, hive mind und Harmonie gibt, gerate ich in einen meditativen Zustand, in dem sich Gedanken, Bilder, Gefühle, Gerüche und Geschmäcker zu einer synästhetischen Erfahrung vermischen. Als wir sicherere Plätze, weiter oben auf dem Podest gefunden haben, tanzen wir uneingeschränkter, freier, mutiger.
Ich vermute wir befinden uns bei 03A1, bin mir aber nicht sicher. Die Tanzfläche ist inzwischen zur Bühne geworden. Die Bühne des Lebens, an deren Rand ich stehe, um zu tanzen, um zu studieren.
Für lange Zeit beobachte ich einfach nur so herum, und erstaune über die Vielzahl an Wahrheiten/Metaphern/Parallelen von Gegebenheiten/Zufällen/Zuständen/Situationen die sich in diesem kleinen Narrativ abspielen. Der Spotscheinwerfer, der die Discokugel im Kreis rotierend an den Kanten beleuchtet, und so traumhafte Reflexe auf alles wirft, was sich auf dessen Reflexionsachse befindet, sagt mir, dass alles anders aussieht, wenn man es aus einem anderen Winkel betrachtet. Eine gedanklicher Moment, den ich nicht auf einem Dancefloor erwartet hätte, der mir aber auf der Fusion nicht ganz sagen will, ob es sich um Zufall oder Planung handelt. Ich freue mich darüber, wie mich diese Substanz in so poetischen Zügen denken lässt, und so setze ich mich irgendwann hin, und denke einfach ein bisschen. Irgendwann weckt mich wieder der DJ, es ist bestimmt schon X5&9 als er in einem Funksong einen überdreckigen arabisch anmutenden Beat versteckt. Dieser Beat klatscht einem von hinten an den Kopf, und tadelt dich, bloß niemals in den sitzenden Aggregatzustand überzugehen, denn dann trifft dich der Drop unvorbereitet. Und den Drop zu droppen macht heute besonders Spaß.
Ich spüre die unterirdischen Blasen in meinen Füßen, spüre meinen Harndrang, sehe das Marineblau am Nachthimmel, erinnere den letzten unglaublichen Abend auf diesem unglaublichen soziologischen Spektakulum.
Ich bin glücklich.
Unglaublich glücklich.
Ich bin nicht verrückt geworden, zumindest nicht sofort merklich.
Ich habe die Energie und Freude von Menschen spüren dürfen, die es feiern miteinander Mensch sein zu können.
Glückliche Tränen, trauriges Lächeln.
Reinigung durch tanz, Vergiftung durch sich selbst.
Die Wahrheit des Lebens in druffen Momenten auf dem Dancefloor erkennen zu glauben, kann doch nur von Verrückten kommen.
Aber jetzt mal ganz im Ernst:
Bitte. Wie hieß der Puppenspieler DJ der mir meinen letzten Abend bis ins Unendliche verschönert hat?
1.7.13 – Montag Abend/Nacht im Karl Kutter.
Die Fusion war wie ausgestorben, doch in mir hat das Leben getanzt.
<3
Montag Nacht, Karl und Alice
Re: Montag Nacht, Karl und Alice
Toller Text - ich hab keine Ahnung!
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- Beiträge: 4
- Registriert: Fr 5. Jul 2013, 01:47
Re: Montag Nacht, Karl und Alice
Echt schöne Beschreibung dieses unvergesslichen Abends!!!
Und die Musik darf nicht ins Internet gelangen weil ich finde das Sie nicht Daheim gehört werden soll, sondern jeder Sie zum ersten Mal auf der Fusion hören darf!
Und die Musik darf nicht ins Internet gelangen weil ich finde das Sie nicht Daheim gehört werden soll, sondern jeder Sie zum ersten Mal auf der Fusion hören darf!
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- Beiträge: 14
- Registriert: Sa 1. Dez 2012, 09:24
Re: Montag Nacht, Karl und Alice
danke sehrTatorttango hat geschrieben:Echt schöne Beschreibung dieses unvergesslichen Abends!!!
Und die Musik darf nicht ins Internet gelangen weil ich finde das Sie nicht Daheim gehört werden soll, sondern jeder Sie zum ersten Mal auf der Fusion hören darf!

da ist wirklich was dran.
das feeling, die situation der ort.
sowas lässt sich zuhause natürlich nicht annähernd nachgestalten und jeder versuch wäre im ursprung schon verkehrt.
but for the sake of sweet, sweet melancholy...
es wäre auch schön, this particular set, nochmal mit klarem verstand zu hören

Re: Montag Nacht, Karl und Alice
Würdest du es denn sicher wiedererkennen? Selbst wenn, es würde nicht dasselbe seinbut for the sake of sweet, sweet melancholy...
es wäre auch schön, this particular set, nochmal mit klarem verstand zu hören![]()

Behalte es lieber in dieser jetzigen, wundervollen Erinnerung, anstatt dem Zwang/Irrtum der Wiederholung nachzueifern.
BTW: Geiler Text... Mein Arm fühlt sich grade irgendwie sooo... wie von dir beschrieben an



Sowie man etwas Gutes tun will, kann man sicher sein, Feinde zu finden.
Voltaire
Voltaire