Knecht hat geschrieben: ↑So 26. Mai 2024, 09:53
Dass sich die Shoah nicht wiederholen darf ist keine deutsche Perspektive. Eine militärische Niederlage Israels bedeutet aber - seit 1948 - genau das. Der Grund warum eine Zwei Staaten Lösung nicht realisiert wurde und waren und sind die Sicherheitsinteressen Israels nachdem sie immer wieder von Nachbarstaaten angegriffen wurden, teils mit genozidaler Absicht - nicht irgendeine "Zionistische" Ideologie. Zu Erinnerung: Zionismus ist kein Schimpfwort sondern beschreibt lediglich die Notwendigkeit eines jüdischen Nationalstaates als Lebensversicherung jüdischen Lebens. Muslimische / arabische Staaten gibt es einige, nur wenn es einen jüdischen geben soll kriegen die Leute einen Nervenzusammenbruch.
Zustimmung zum ersten Satz. Dazu noch folgender Gedankengang: wenn man einen jüdischen Nationalstaat als die einzige, absolute Lösung setzt dies zu verhindern, dann sollte man ehrlich sein was man gedenkt diesem Absolutismus unterzuordnen. Antids sind da ja relativ klar, dass man, bis der Antisemitismus weltweit besiegt ist, auch den bürgerlichen Staat inkl. aller Widersprüche diesem Schutzversprechen unterordnet und ihn damit jetztmal ganz wertfrei gesagt legitimiert. Soweit so gut.
Drehen wir das Rad jetzt einmal weiter. Jahrzehnte völkerrechtswidriger Besetzung, Vertreibung und ja, auch vielfach nachgewiesener Morde an PalästinenserInnen? Unter Notwehr/Verteidigung ist das nicht mehr einzuordnen, mit einer guten Portion Zynismus könnte man es "Prävention" nennen. Orte ohne PalästinenserInnen fallen als geografische Orte einer möglichen ausgehenden Bedrohung eben weg.
Zum 7. Oktober gibt es mehrere Analysen mit dem Schluss, dass Israel die Grenzsicherung zu Gaza sträflich vernachlässigt hat. Und zwar in Priorisierung der Sicherung und Erweiterung der besetzten Gebiete in der Westbank. Der Rückzug aus Gaza vor bald 20 Jahren war vor diesem Hintergrund eine rein strategisch-logistische Entscheidung. Israel hatte auf Dauer schlicht nicht die Ressourcen um beide Gebiete zu besetzen. Allein hier bekommt der Absolutismus vom Nationalstaat als Schutzraum Risse. Staatszweck und Schutzversprechen liegen hier schon offensichtlich nicht mehr gänzlich identisch übereinander.
Disclaimer: ich bewege mich hier rein auf einer faktischen, analytischen Ebene. Nicht auf einer Ebene von Schuld und Moral. Daher: die Hamas ist zweifelsfrei eine große Bedrohung für jüdisches Leben ohne Frage, ohne wenn und aber. Der Raketenterror, der Überfall am 7. Oktober. Die aktute Abwendung dieser Gefahren ist kurzfristig nur militärisch zu bewältigen. Langfristig kann die Existenz jüdischen Lebens nicht rein militärisch gesichert werden. Ehemalige IDF Soldaten/Commander geben das offen zu Protokoll dass Israel nicht nur auf Gewalt gegründet werden kann. Dass Israel gewaltfreie Perspektiven sträflich vernachlässigt hat, zB auch durch eine Förderung der Hamas um eine geschlossene, zivile palästinensische Staatlichkeit zu torpedieren. Da bedeutet nicht, dass PalästinenserInnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten nicht verantwortlich handeln müssen. Der Konflikt ist derart asymmetrisch, die Verantwortlichkeiten und Möglichkeiten der jeweiligen Seiten muss daher jeder selbst bewerten.
Was man dieser Absolutheit vom Nationalstaat als Schutzraum nicht mehr unterordnen kann ist Faschismus und Völkermord. Ein solcher Staat schützt am Ende nichts und niemanden. Nicht die PalästinenserInnen und auch keine Juden, auch natürlich die nicht, die als Soldaten zum sterben abkommandiert werden. Faschismus, Apartheid und Völkermord sind ernste Anschuldigungen an einen Staat. Auch wenn man davor zurück schreckt diese Begriffe bereits vor Gerichtsentscheidungen zu verwenden: die Verdachtsmomente sind mittlerweile erdrückend. Wenn man sich offen faschistische Regierungsmitglieder anhört, Reden in der Knesset hört die nicht einmal die AfD so halten würde (es werden offen Vernichtungsfantasien ausgebreitet), wenn man ein wenig Haaretz liest, einer überwältigenden Anzahl von Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen zuhört, den 100-seitigen Bericht des University Networks for Human Rights liest. Dazu UN-Berichte und ICJ/ICC Dokumente und Verhandlungen. Forensische Analysen von CNN oder Forensic Architecture über den hundertfachen Einsatz von 2000-Pfund Bomben ("not seen since Vietnam"), deren akkumulierte Sprengkraft ein Vielfaches der Hiroshima Bombe erreicht.Und vieles Erschreckende mehr.
Es wird immer das Existenzrecht Israels betont. Eine Frage die meiner Meinung nach im Moment nicht die vordringlichste ist, weil: Israel existiert, das ist ein Fakt. Israel ist die stärkste Militärmacht der Region, in der Lage große Landstriche zu besetzen, zu blockieren und mehrere benachbarte Staaten zu bombardieren. Mit Recht oder Unrecht ist hier gar nicht die Frage. Israel ist offensichtlich in der Lage dazu. Es hat mit den USA die größte Militärmacht der Welt im Rücken. Dazu kommen Annäherungen mit arabischen Staaten der Region wie Saudi Arabien und Ägypten in der Zeit vor dem 7. Oktober.
Jüdischen Leben ist in der Tat bedroht. Durch Raketenterror, durch schrecklichste Terroranschäge wie den des 7. Oktober. Und: Auch mit Unterstützung des Iran ist die Hamas aber rein logistisch nicht in der Lage, die Existenz Israels als solche zu bedrohen. Iran und andere arabische Staaten üben sich darüber hinaus in Zurückhaltung. Iran's Angriff war als Reaktion auf die Botschaftsbombardierung a) im Voraus angekündigt und b) verhältnismäßig gering, zumal keine weiteren direkten Angriffe folgten. Einschränkend muss man hier natürlich die Raketen der hisbollah aus dem Libanon erwähnen.
Die einzig relevante Frage im Moment ist daher die eines Waffenstillstands (das impliziert natürlich Beidseitigkeit) und der der humanitären Hilfe in Gaza, es brennt im wahrsten Sinne. Angesichts erdrückendem Völkermordverdachts. Danach müssen alle Seiten einen Weg finden die gemeine Existenz nicht mehr auf Gewalt zu stützen. Und das ist jetzt mein Fazit: die militärischen Kräfteverhältnisse münden auch in einem Verhältnis für die Verantwortlichkeiten für eine gemeinsame, friedliche Zukunft für Alle.
PS:
Wie gut hat denn asymmetrische u konventionelle Kriegsführung gegen guerillamäßig organisierte Gegner in der Vergangenheit so funktioniert? Wie war das in Vietnam? In Kambodscha? Afghanistan? ISIS? usw …
Und was waren die Folgen einer solchen Kriegsführung? Was waren die Motive und Interessen der jeweiligen Parteien? Liegt nicht eher in letzterem die Lösung dies ehrlich für beide Seiten zu beantworten? Ging es da stets nur um Gut gegen böse?
Eher nicht, und genau da muss man ansetzen für Lösungen. Und nicht am Vernichtungskrieg. Was hat denn das Flächenbombardement auf Kambodscha erreicht? Die selben Bomben (Mark 84) fallen zu hunderten auf Gaza. das Völkerrecht soll, als Folge des 2. WK u auch Vietnam/Kambodscha usw verhindern dass jemals wieder zwischen lebenswertem und weniger lebenswertem Leben unterschieden wird.
Ich möchte diese Konflikte nicht politisch vergleichen. Aber bezüglich der Kriegsführung kann man auch für heute eine Kritik an Israels Vorgehen ableiten.
Ach ja, noch etwas: nach beinahe 8 Monaten kann man ganz objektiv festhalten, dass Israel sein absolut berechtigtes Ziel der Zerschlagung der Hamas nicht annähernd erreicht hat. Es ist vielleicht ferner gerückt denn je. Spätestens jetzt muss man sich doch fragen ob Ziel und die Mittel der Durchsetzung überhaupt zusammen passen? Warum dem so ist? Und was war und ist der Preis dafür?