Hallo zusammen - und hochinteressant, was hier diskutiert wird.
Für mich war es
mein erstes Mal Fusion. Eigentlich waren wir zu zweit, aber meine Begleitung musste kurzfristig absagen. Kurz bevor ich in den Bassliner stieg, war ich dann doch alleine und kann nicht leugnen, dass ich eine gehörige Portion Respekt hatte vor diesem Festival mit 70.000 Menschen, von dem ich schon so viel gehört hatte und um den sich fast schon ein Mythos aufgebaut hatte.
Aber was soll ich sagen? Ich bin hin und weg!! Fragt mal mein Umfeld, was ich denen seit Tagen die Ohren vollquatsche von wegen "noch nie erlebt sowas", "Erweckungserlebnis" und solche Sachen.
Gleich vorweg: Aufgrund einer Meidkation kann ich keine synthetischen Drogen nehmen, Alkohol geht auch nur in ganz überschaubaren Maßen und THC führt mittlerweile bei mir zu Paranoia. Lange Rede, kurzer Sinn, ich war eigentlich fast komplett nüchtern, zumindest drogenbedingt nie "richtig drauf". Daran liegts also nicht.
Ich fand es unfassbar, wie ich in 5 Tagen nie auch nur EIN böses Wort gehört hab. In keiner Schlange, an keinem Schei**haus, nicht auf dem Dancefloor, nirgends. Für mich schienen alle in einem gemeinsamen Flow, wo jede/r freundlich und hilfsbereit zueinander war, freundlich gefragt und bedankt hat, bevor er/sie sich dazu gesetzt hat, beim Auf-die-Füße-Treten sich entschuldigt hat (und wenn es nur mit einem kurzen Schulterblick und Handheben war) usw.
Selbst wenn sich mal verballerte Leute aus versehen auf der falschen Seite angestellt und dadurch schneller am Kaffeestand waren als andere, hat keiner gemeckert und ich dachte mir, geil Alter, wie wenig Alman-Style geht eigentlich noch, ich fass es nicht vor Freude.
Eins meiner Highlights war am Samstagnachmittag, wo ich in dem Baumhaus hinterm Theater saß. Neben mir saßen zwei weiblich gelesene Personen, die in aller Ruhe und intensiv über ihre Beziehungen diskutiert haben, gegenüber hat eine Gruppe neu erworbene Handfächer bemalt, gegenüber haben zwei nach gewissem Konsum entspannt gedöst und rechts von mir saßen welche und haben den Raveplan für den frühen Abend ausgetüftelt. Ich saß mittendrin und las mit Kaffe&Kippe meine Fantasygeschichten, die ich zuvor bei einer netten Flohmarktverkäuferin auf der Insel gekauft hatte, die mir noch ein halbstündiges Referat zu dem Buch gratis dazugegeben hat

. Gleichzeitig stieg einem der sanfte Duft des Kartoffelstampfs mit Zwiebeln in die Nase, der ein Stockwerk weiter unten gerade vorbereitet wurde. Irgendwie war jeder für sich und doch alle gemeinsam und vor allem ging niemand jemand anderem auf den Zeiger. Das war schon nicht mehr so wahnsinnig weit weg von der Definition von "Glück".
Oder im FKK-Bereich. Da bin ich Freitags vor dem Regen zum ersten Mal noch hin und war wirklich hin und weg, was für ein schönes Gelände das war, wie super der Kiosk und wie nett die Menschen dort überall. Ich (cis-Mann) bin eigentlich eher "g'schamig" was so gemeinsame Nackisachen angeht, aber in kürzester Zeit habe ich gemerkt, dass das hier völlig ok ist, dass keine/r niemanden anstarrt, dass jede/r so ist wie er/sie ist, dass hier überhaupt nix in der Luft liegt, außer der Lust an Freiheitsgefühl und Tanz. Also habe ich mitgemacht und mich super sicher gefühlt und einfach nur das Freiheitsgefühl genossen. Für mich war das wirklich ein safe space mit viel awareness, denn wenig überraschend wäre es auch mir als cis-Mann nicht angenehm gewesen, jenseits der Standardkommunikation irgendwie auf Blicke oÄ hätte reagieren zu müssen.
Noch ein Wort zu den Floors nachts: Ich hatte auf jeden Fall das Gefühl eines gemeinsamen Raves. Ganz manchmal hab ich nach rechts und links geschaut und gemerkt, wie alle um mich rum am Tanzen sind, jeder für sich und alle gemeinsam - so fühlte es sich für mich schon an.
Ich habe nach Studium des Threads jedoch ein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil ich insbesonder Sa nachts auf dem Trancefloor mich phasenweise heftig vergessen hatte und in der Tat in einen tranceartigen Zustand kam. Jetzt hoffe ich, da niemandem auf den Wecker getanzt zu haben sozusagen

Angerempelt habe ich niemanden und wenn doch, immer entschuldigt. Aber wenn ich das so lese, frage ich mich, ob ich nicht vielleicht zu heftig geraved habe oder sonstwie was.

Auch habe ich mir natürlich immer mal ein freies Plätzchen in der Mitte der Tanzfläche gesucht, ohne Leute wegzuboxen (das geht schon allein aufgrund meiner Statur garnicht). Was tun?

Vielleicht wäre ja eine Dancefloor-Etikette wirklich keine schlechte Idee.
Trotzdem war die Fusion für mich eine absolut wunderbare und wunderschöne Erfahrung, die die Akkus aufgeladen hat und mich noch lange beschäftigen wird. Der Satz "Make Love, not War" ist ja bisweilen eine Floskel geworden, aber so blöd es klingt, auf der Fusion hatte ich zum Ersten Mal das Gefühl, dass es genau so ist und alle gemeinsam fröhlich und positiv gestimmt sind, gut miteinander umgehen und eben ein besonderer "Vibe" entsteht und man so den ganzen Aggro-Scheissdreck, der einen im Alltag und in den Nachrichten ständig begleitet, mal für einen Moment vergessen kann. Haltet durch und ich hoffe, wir sehen uns gut gelaunt alle wieder 2022 im schönen Lärz.
Die Aspekte zur politischen Haltung des Festivals und zu Inklusion sind sicherlich berechtigt und die Tatsache, dass sich die "Utopie" irgendwie nur die leisten können, die sie sich eben leisten können, empfinde ich auch als Wehrmutstropfen. Wichtige Diskussion, die aber mAn eine andere ist als die nach dem Umgang miteinander.
Ohje, wollte eigentlich nur 3 Sätze schreiben, naja...