Moin!
nachdem ich die hier entstandene diskussion gelesen habe sind mir einige gedanken dazu in den kopf gesprungen, die ich in dem zusammenhang loswerden wollte. dafür hab ich mich ehrlich gesagt sogar in dem forum angemeldet. die folgenden gedanken kommen aus der perspektive eines weißen cis-typen, der sich schon seit einigen jahren mehr oder weniger mit den themen feminismus, (anti-)rassismus auseinandersetzt.
Aus meiner sicht gibt es in der debatte um die (cis-)männliche oberkörperfreiheit zwei (emanzipatorische) denkpositionen, die sich stark unterscheiden und mitunter nicht leicht zu vereinen sind.
1. die utopische (stichwort "fusion-spirit", was auch immer das sein soll). die idee scheint zu sein, dass in einem raum, der mit menschen gefüllt ist, die in einer sehr ungleichen gesellschaft aufgewachsen sind, sämtliche normen und werte umzudrehen und praktisch zu versuchen, die "befreite" gesellschaft zu leben. damit einher geht die forderung, dass es ok sein muss, wenn alle nackt rumlaufen.
das problem an dieser position ist, dass sie einen sehr ausschliessenden charakter hat für alle menschen, denen eben dies nicht so leicht fällt, und dass häufig die argumentationslinien aus dieser position ebendiese menschen nicht ernst nimmt "ist doch kein problem" "frauen* können ja auch einfach nackt rumlaufen". der utopische anspruch übergeht also die realität.
2. der realgesellschaftlich-emanzipatorische. dieser ansatz erkennt, im gegensatz zu 1.), an dass es ungleichheiten in der real existierenden gesellschaft gibt, und versucht, diesen zu begegnen. eine naheliegender strategie dafür ist, den privilegierten menschen diese privilegien zu entziehen und den marginalisierten mehr raum zu geben. das bedeutet in der praxis, von privilegierten menschen (cis-männer, die der gesellschaftlich vorherrschenden schönheitsnorm entsprechen) zu verlangen, dass sie auf privilegien verzichten. dies geschieht in der "No shirt - no service"-debatte auf restriktive, autoritäre weise (und wohl auch unreflektiert in bezug auf koloniale denkmuster). das problem dieses ansatzes ist, dass er mit den mitteln der herrschenden versucht, die situation zu verändern, insbesondere schutzräume zu schaffen.
privilegierte bekommen hier sehr direkt zu spüren, dass sie "anecken".
ich bin mir recht sicher dass die "befreite gesellschaft", die die utopie der beiden ansätze ist, dieselbe ist, nämlich eine gesellschaft, die keine diskriminierenden unterschiede zwischen menschen macht (= es ist für alle okay wenn menschen nackt oder teilweise nackt oder bekleidet sind). es ist nur recht einfach erkennbar, dass beide ideen sich nicht gut vereinbaren lassen.
daneben gibt es (auch hier in der forumsdiskussion) verscheidene positionen, die relativ stumpf ihre (cis-männlichen) privilegien verteidigen. dazu werd ich jetzt hier nichts weiter schreiben...
das ziel von jeder auseinandersetzung mit dem thema sollte doch sein, dass wir uns alle gedanken über unsere privilegien machen. inwieweit das mit verbotsschildern einerseits oder demonstrativer, "utopischer" ignoranz der bestehenden zustände andererseits funktioniert, will ich hier nicht bewerten.
stattdessen möchte ich etwas mit euch teilen, das ich sehr hilfreich und cool finde und letztes jahr während eines anarchistischen sommercamps entdeckt habe. zu finden auf dem queer_topia*-blog (
http://queertopia.blogsport.de/material/)
diese "privilegienlisten" hingen dort auf toiletten, an pissoirs und an anderen öffentliche orten und haben bei mir dazu geführt, beständig daran erinnert zu werden, welche privilegien ich habe und welche menschen weniger/andere privilgien haben/nicht haben.
Liste cis-männlicher Privilegien
http://queertopia.blogsport.de/images/m ... legien.pdf
Liste Weißer Privilegien
http://queertopia.blogsport.de/images/w ... legien.pdf
Liste heterosexueller Privilegien
http://queertopia.blogsport.de/images/H ... legien.pdf
es gibt noch einige mehr.
am ende ist doch die frage, wie können wir in einem raum, wo viele menschen feiern und verschiedene berauschende substanzen konsumieren, einen dialog über ein thema führen, ohne abwehrreaktionen hervorzurufen, leute abzuwerten oder unsichtbar zu machen.
zumal dieser raum gefüllt ist mit menschen, die sich sehr unterschiedlich viel gedanken über diesen ganzen themenkomplex gemacht haben.
"weißer deutscher michel" ... Rassismus hat viele Gesichter, das hier ist eines davon.
bei dem kommentar geht ein ganz neues feld auf, da müsste mensch mal drüber diskutieren, ob es rassismus gegen Weiße geben kann. ich denke nicht. aber das sprengt hier wohl den rahmen.
und abschliessend noch ein kleiner gedanke zum thema oberkörperfrei bei brutaler hitze: ich habe verschiedentlich an (männlich gelesenen) oberkörpern fieseste sonnenbrände gesehen. daher kann ich nicht so richtig nachvollziehen, warum es schlau oder naheliegend ist, sich bei dieser hitze auszuziehen. ich glaube, das schlaueste wäre ein kleidungsstück das einem hijab ähnelt...