Doktor hat geschrieben: ↑Do 5. Jul 2018, 17:28
Passend dazu haben uns auch die "No Shirt-No Service"-Schilder gar nicht gepasst. Ich als Mann lasse mir sicherlich nicht vorschreiben wie ich mich bei 30 Grad zu kleiden habe. Ich werde im Alltag auf Grund meines Aussehens auch am laufenden Band blöd angeschaut. Soll ich jetzt deshalb von allen verlangen so rumzulaufen wie ich? Aber dazu wurde hier im Forum ja schon genug sinnvolle Kritik geäußert. Ziemlich fehlgeleitet das ganze.
Für uns war das jedenfalls dieses Jahr schon Grund genug nicht auf Monis Rache zu fahren. Falls die Regel nächstes Jahr ebenfalls wieder gelten sollte, werden ein paar von uns jedenfalls nur noch mit kleinem bauchfreien Shirt und sonst gar nichts rumlaufen.
Warum tut dir das so doll weh? Warum der männliche Abwehrreflex? Ich habe zu viele Freundinnen, die nicht auf Festivals fahren oder nur mit Bauchschmerzen, weil überall Typen shirtless rumlaufen. Nur eine von hundertausend alltäglichen Erfahrungen, nicht die gleichen Privilegien zu haben wie Männer.
Auf meiner ersten Fusion bin ich selbst sauer über den Hinweis geworden, nachdem ich mein Shirt ausgezogen hatte. Heute bin ich dankbar für den Impuls, meine Männlichkeit kritisch zu hinterfragen. Damals war ich felsenfest der Meinung "das kann doch nicht der Weg sein, es soll nicht weniger sondern mehr Privilegien geben, die Frauen müssen auch einfach oberkörperfrei rumlaufen".
Seitdem beobachte ich und stelle fest: Nee warte mal, so einfach ist das nicht. Das heißt nicht umsonst männliches
Privileg, also etwas, was nicht allen zusteht.
Der Mehrzahl (nicht allen! nicht den meisten!) der shirtlosen Typen unterstelle ich, dass sie zumindest unbewusst ihren tollen Körper präsentieren wollen. Gesehen werden. Blicke kassieren. Imponieren. Vielleicht zieht das ja eine wen an...
Befreundete Frauen erzählten mir von der Angst, ihr Shirt auszuziehen. Weil dann garrantiert noch mehr blöde Anmachen/Blicke/Sprüche kommen. Weil sie sexuelle Übergriffe erlebt haben und Angst, dass das wieder passiert. Weil sie als einzige Frau dastehen. Weil sie das nicht gewohnt sind. Weil sie sich wegen der erlebten Übergriffe verdammt unwohl fühlen, sobald der nächste Typ sich einfach so sein Shirt auszieht. Weil das Erinnerungen zurückholt, die sie beim Feiern nicht präsent haben wollen. Weil ihnen das den Abend versaut. Weil sie nicht sicher sein können, dass nicht gleich der nächste Übergriff passiert.
Und ja, auch auf der Fusion passiert die ganze Zeit übergriffiges Verhalten. Da drängen sich Typen auf, Rempeln im Vorbeigehen oder stoßen "ausversehen" an Hintern oder Brüste, machen blöde Sprüche, sexistische Kommentaren, machen dich zum Objekt, dringen in deinen Raum ein, akzeptieren ein Nein nicht, sehen dich als Beute, haben es nicht so gemeint, stellen sich an die Frauenpissrinnen und drücken einen Spruch, zeigen ihren Penis, etc.
Natürlich ist nicht das Ziel, dass alle ihr Shirt anbehalten. Schön wäre es, wenn alle bei Bedarf nackt feiern können und sich dabei wohlfühlen können, in dem Vertrauen, dass ihr Level wahrgenommen und respektiert wird, dass dir die anderen ohne Hintergedanken gegenübertreten, dass niemand übergriff wird.
Aber da sind wir noch lange nicht. Der Hinweis an Typen, ihr Shirt anzulassen (auf der Fusion durch die No Shirt No Service Schilder äußerst sanft umgesetzt) ist ein Versuch, einen Schritt in die Richtung zu machen. Weil Solidarität und Unterstützung mit und für FLTIQ* als Mann vor allem heißt, sich Kritik anzuhören, zu reflektieren, zu lernen und eigenes Verhalten zu ändern.
Ich habe mir die momentanen Geschlechterrealitäten nicht ausgedacht und auch nicht ausgesucht. Aber ich kann mir das Dagegen aussuchen. Und das heißt, wahrzunehmen statt zu leugnen, welchen Effekt es hat, wenn ich als Typ mein Shirt ausziehe. Die Kritik zu hören und mich auf den Versuch einzulassen. Das nicht als großen Verlust einer Freiheit einzusortieren, sondern als Teil einer Auseinandersetzung mit mir Selbst, die notwendig und wertvoll ist. Mittlerweile nehme ich übergriffig Verhalten viel mehr wahr, als früher, vor der Auseinandersetzung. Jetzt sind mir die ganzen shirtlosen selbst unangenehm, auch wenn ich selbst nicht so direkt von der ganzen Scheiße betroffen bin, die Frauen Lesben Trans Inter Queere * sich andauernd reinziehen müssen.
Vielleicht erreiche ich dich ja damit und du probierst es beim nächsten Festival aus? Vielleicht sehen wir uns ja doch auf der Rache, einem in der Hinsicht wenigen progressiven Festivals, die versuchen, da einen Safer Space aufzumachen.